…eine Zauberharfe.
Im Sommer 2020 war ich auf einer Gitarrenfortbildung. Dort wollte ich mehr darüber erfahren, wie ich älteren Menschen, die keine Noten können, das Gitarre spielen näherbringen könnte. Das hab‘ ich auch gelernt, aber verliebt hatte ich mich an den zwei Weiterbildungstagen dann in den Gedanken, mit meinen Leuten Zauberharfe zu spielen. Eine Musikgeragogin bot diesen Gitarrenkurs an der Landesmusikakademie an. Und was war ich überhaupt glücklich, dass dieser Kurs trotz – aber vor allem auch wegen! – der Corona-Hygienemaßnahmen tatsächlich als Präsenzkurs stattfinden konnte. Ein Wunder war das schon, irgendwie …
Die Kursleiterin erwähnte am ersten Tag auch Ihre Arbeit mit der Zauberharfe und dass diese mit Unterlegnoten gespielt wird. Mich ließ das aufhorchen. Das hat man ja manchmal: Da passt was! So auch an diesem Tag: Ein Kopfkino startete. Ich wusste sofort, wie ich das einfädeln würde bei uns im Pflegeheim. Anstatt also Gitarre zu vermitteln, würde ich die Bewohner*innen Lieder auf der Harfe spielen lassen, aus der Kinderzeit ebenso wie beispielsweise aus Spielfilmen. Ohne jede Notenkenntnisse Musik machen, Lieder spielen, die man kannte? Das ist möglich mit so einer Tischharfe. 25 Saiten hat sie, gestimmt von g bis g, über drei Oktaven. Und wie klingt sie? Eigentlich … wie eine Zither.
Es entsteht eine gemütliche wie sinnliche Stimmung, wenn die Tischharfentöne erklingen. Dabei ist es egal, ob wir „Der Kuckuck und der Esel“ oder vielleicht „Weißt du wie viel Sternlein stehen“ oder „O sole mio“ spielen: Irgendwie wird jedes Lied zu einem kleinen oder größeren meditativen Erlebnis. Der Zugang zum Lied ist besonders, weil die Töne und das Anschlagen der Töne besonders sind. Ich habe eben geschrieben: „Wir spielen.“ Ja, tatsächlich, mittlerweile besitze ich zwei Tischharfen, weil … ja, weil ich kurz vor Weihnachten einem Nachbarschaftsfonds von dieser wundervollen Art berichtet hatte, mit Menschen in einem Pflegeheim – trotz Corona! – gemeinsam Musik machen zu können. Denn singen dürfen wir ja seit einigen Monaten nicht mehr … –
Die Jury des Fonds ließ sich mitreißen von meinem Antrag und kurz vor Weihnachten hielt ich dann ein zweites Instrument in den Händen. Es fühlt sich ganz wunderbar an. Hergestellt wird es in Bayern, in Handarbeit. Und wenn ich die Harfen aus den Taschen nehmen, wir sie jede auf unserem Schoß abstellen und sanft gegen die Tischkante legen – dann beginnt irgendwie eine andere Zeitrechnung. Viele Wiederholungen, geduldiges Erklären, erneutes Probieren, auch so manches Hadern … aber immer, wirklich immer strahlende Gesichter: „Ich kann Musik machen? Ich kann eine meiner Lieblingsmelodien selbst spielen?“ Wenn es möglich ist und nicht verwirrt, spiele ich auf meinem Instrument eine zweite Stimme dazu. Um das Erlebte und Gehörte noch „runder“ zu machen, Rhythmus und Tiefe zu geben. Dabei – geben meine Leute den Ton an. Und das Tempo.
Wir sind vertieft in Klang und Miteinander. Stimmen uns ab und stimmen uns ein. Die Zeit dehnt sich. Sie scheint still zu stehen. „Ewigkeitssekunden“ – dieses Wort kommt mir in den Sinn. Ein Wort, dass ich einmal so ähnlich in einem Artikel gelesen habe, veröffentlicht in einer Schweizer Ärztezeitung. Dort heißt es: „Sekunden Ewigkeit“. Die Zeit löst sich auf. Corona? Bleibt vor der Zimmertür! Erinnerungen werden durch diese Klänge aus dem Hinterstübchen geholt. Sie werden wieder lebendig und bewusst wahrgenommen. Bekommen Raum. Über sie kann gelacht oder geweint werden. Diese Tischharfe – ja, sie ist wirklich eine Zauberharfe.
Sie verzaubert den Moment. Den Tag. Unsere Gedanken. Und unsere Herzen.