Hildemarie, 56 Jahre, verheiratet, Mutter, wohnt am Land, kaufmännische Angestellte im sozialen Bereich

Mein Schreibtisch

Ein Gegenstand, der in der Corona Zeit für mich besondere Bedeutung gewonnen hat, ist mein Schreibtisch. Nämlich jener Tisch, von dem ich zu Hause mit der ganzen Welt verbunden bin, als private Person und in meinen beruflichen Rollen.

Unglaublich, welche Ereignisse und Gespräche an diesem Tisch im letzten Jahr stattgefunden haben. Ich habe Lesungstermine für mein erstes Buch ausgemacht, ich habe Lebensmittellieferungen für meine Mutter bestellt, ich habe Briefe und Karten für Freundinnen mit der Hand geschrieben, ich habe einen neuen Dienstvertrag unterfertigt, ich habe gefühlt um die 200 Menschen in diversen online Veranstaltungen kennen gelernt.

Dieser Schreibtisch hat sich nach und nach ein Büroambiente zugelegt. Zum ursprünglichen Laptop, Block und Kugelschreiber kamen mit der Zeit ein größerer Bildschirm, eine Tastatur und eine Docking Station dazu. Weiteres stapelbare Ablagefächer, ein Locher und eine Klammermaschine. Es stehen mehrere Teetassen auf ihm, die einfach nicht zurück in die Küche finden. Ein Kabelgewirr hängt an seiner Rückseite zu Boden. Zu einem Drucker hat es noch nicht gereicht, denn da steht schon einer in einem anderen Zimmer des Hauses.

Mein Schreibtisch wurde sogar zum Lehrerpult! In Homeschooling-Zeiten bringt mir hier das Schulkind seine Aufgaben, die ich – bewusst nicht mit Rotstift – abhake, sofern sie richtig sind. Oder das Schulkind legt einen Lückentext zum Thema Konjunktiv auf die Arbeitsfläche, und manchmal bringt es auch ein Geodreieck und ein Koordinatensystem. Wir haben an diesem Tisch gemeinsam Mathe Tutorials angeschaut oder den Inhalt von Musicals gegoogelt. Wenn mir das Schulische an meinem geliebten Schreibtisch zu viel wird, führe ich das Schulkind ein Zimmer weiter zu seinem eigenen Schreibtisch, aber das ist eine andere Geschichte.

Mein Tisch ist geduldig. Er trägt alle Neuigkeiten, Vereinbarungen und Belastungen tapfer mit mir. Wenn ich mich zu ihm setze, hält ihr immer eine kleine Ablenkung oder eine offene To-do Liste für mich bereit, und ich kann aus unendlichen Wirkungsbereichen an diesem Tisch wählen. Er ist für Tagesstruktur zuständig, für Überblick und Zukunftspläne. An ihm finde ich Halt, er lässt mich Gewohnheit in einer ungewöhnlichen Zeit erleben. Ich mag meinen Schreibtisch. Er hat übrigens als einstiger Garten-Klapptisch gleich zu Beginn der Corona Zeit in eine schöne Ecke meines Zimmers gefunden, bekam ein buntes Tischtuch übergeworfen und ich glaube, er ist sich seiner neuen Bedeutung für mich sehr bewusst.