Beatrice, 62 Jahre, grundsätzlich frohgeMUT, lebt mit Kater Filou in Wien, Coachin & Trainerin, leidenschaftliche Collagen Gestalterin und Schreiberin

Wieviel Zuviel ist zuviel? – Kann Mangel Fülle sein?

Eine Freundin teilt heute auf Facebook ein Posting über eine „Kleider-Challenge“. Die Aufgabe ist, während der kommenden 30 Tage nur 30 vor-ausgewählte Kleidungsstücke und Schuhe zu tragen. Interessant denke ich mir, um dann beim weiteren Darüber-Nachsinnen festzustellen, dass ich wohl derzeit sogar mit weniger gut auskomme.

Ich denke an meinen vollen Kleiderschrank und erinnere mich daran, dass ich ja auch auf Reisen mit einer überschaubaren Menge an Kleidungsstücken und Schuhen gut zurecht komme. Und eingepackt werden dann ja auch ohnehin nur die Lieblingssachen – die, in denen ich mich wirklich wohl fühle.

Mir kommt die Frage eines Kollegen in den Sinn, der einmal in einer Besprechung laut und verzweifelt ausrief „Wieviel Zuviel ist zuviel“?.

Ich stelle mich vor meinen Kleiderschrank und fühle mich von der unübersichtlichen Fülle erschlagen, wissend, dass ich manches schon lange nicht mehr getragen habe. Dieser Gedanke, wieviel und was ich eigentlich wirklich brauche, beschäftigt mich schon sehr lange und wird in Zeiten wie diesen ganz besonders relevant.

Manchmal denke ich mir, heute geh ich mal wieder shoppen, mal etwas Neues kaufen. Zunächst hält mich der Gedanke ab, die ganze Zeit während des Probierens eine Maske zu tragen und dann taucht sofort die Frage auf, brauche ich denn wirklich etwas Neues? Die Antwort kommt schnell und lautet Nein. Ich könnte ja erst mal das Vorhandene probieren, schauen, was sich vielleicht neu kombinieren lässt.

So ergeht es mir nicht nur mit meiner Kleidung.

Als leidenschaftliche kreative Gestalterin habe ich einen großen Fundus an Papier, Stiften, Washi Tapes, Zeitschriften und vielem mehr. Ich liebe es aus der Fülle zu schöpfen. Verliere allerdings auch schon mal den Überblick über diesen reichhaltigen, vielfältigen Fundus an Kreativ-Material. Und doch gibt es immer wieder die Verlockung noch diesen tollen Stift, diese brillanten Farben, dieses ganz besondere Washi Tape zu kaufen. Der Katalog der Anbieter ist dick und schwer.

Ich nehme gerade an einer Aktion teil, wo man ein Kuvert zugesandt bekommt, in dem sich bereits ausgewählte Schnipsel befinden, die dann zu einer Collage zusammengeklebt werden sollen. Es fasziniert mich jedes Mal, was ich aus den mir zugefallenen Schnipseln Tolles gestalten kann. Gestalten mit dem was ist, macht ruhig und zufrieden. Kein wildes Suchen nach dem richtigen Bild.

Gehen mit dem was da ist.
Leben mit dem was da ist.
Mich auf mich besinnen.

Wieviel Zuviel ist zuviel?

Gibt es auch ein Zuviel an Inspiration?
Bringt diese ständige Suche nach etwas Neuem vielleicht ja nur Verunsicherung und Unruhe? Lässt mich an meinem eigenen Tun zweifeln!?

Warum in die Ferne schweifen, sieh das Gute liegt so nah, denke ich mir und genieße es gerade sehr durch die nahen Wälder zu streifen, meinen Bezirk zu erkunden und durch die Stadt zu flanieren. Auf diese Weise entdecke ich auch immer wieder etwas Neues: ein Haus, das mir in seiner besonderen Bauweise noch nie aufgefallen ist, die Kirche, die ich noch nie betreten habe, einen sonnigen Wanderweg durch die Weingärten, einen wunderbaren Aussichtsplatz, der mich weit über die Stadt schauen lässt. Es müssen also nicht immer weite Reisen mit Auto oder Flugzeug sein, um Neues zu entdecken.

Wieviel Zuviel ist zuviel?

Kürzlich habe ich einen Artikel gelesen, der sich mit dem Phänomen „FOMO“ (fear of missing out“) beschäftigt, also der Angst, etwas zu versäumen. Eine Freundin hat mir eine Zeit lang immer Mails geschickt unter dem Titel „Da ist wieder etwas, was wir versäumen können“. Es ging dabei um Filme, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, etc.

Daran musste ich denken, als es das plötzlich alles nicht mehr gab. Kein Kino, keine Ausstellungen, keine Konzerte – nichts. Und plötzlich war er weg der Druck, die Sorge, etwas Wichtiges zu versäumen. Statt dessen stellte sich Ruhe, ein Mußegefühl, eine Zufriedenheit ein. Leben mit dem was ist, tut gut, macht ausgeglichener und zufriedener.

Natürlich freue ich mich auch darauf, wieder ins Kino zu gehen, ein Konzert und Ausstellungen zu besuchen. Hoffe und wünsche mir jedoch, die Fähigkeit auch nein sagen zu können, ohne das Gefühl zu haben, jetzt etwas versäumt zu haben. Ich will gerne darauf vertrauen, dass mich das, was ich brauche auch findet, indem ich das Vorhandene und die Fülle des Lebens erkenne und genieße.

Wieviel Zuviel ist zuviel?