Astarte, 68, gehbehindert, wohne mit Mann und drei Kindern im eigenen Haus mit Garten rundherum. Bin trotzdem meistens alleine und raffe mich kaum auf, das Haus zu verlassen

Corona betrifft mein Leben

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen und zwar eine aus dem ersten Lockdown.

Mein lieber Sohn Stefan lebt, seit er studiert, in Berlin, seit zwei Jahren zusammen mit einer Freundin namens Tine. Weihnachten 19 kam dann die freudige Nachricht: Wir bekommen ein Baby. Wie schön. ich träumte bereits davon, wie ich würde von Vorarlberg aus nach Berlin fahren und wie die beiden uns in Vorarlberg besuchen kämen, damit wir unser Enkelkind könnten aufwachsen sehen.

Und dann waren auf einmal die Grenzen dicht. Wer hätte damit gerechnet?
Stefan und Tine wollten das erst einmal gar nicht wahrhaben. Kurz vor Ostern fuhren sie mit ihrem VW-Bus los, um uns zu besuchen und Tine mit Bauch vorzustellen. Sie kamen nur bis zur Grenze, drehten traurig um und besuchten Bekannte in Süddeutschland.

Zum ersten Mal war ich so richtig stinksauer auf den Lockdown. Und dann fiel auch noch mein geplanter Berlin-Aufenthalt in die hoch wogenden Coronafluten. Bis Juni wurde der Lockdown gelockert und endlich war es so weit: Stefan und Tine, sie inzwischen Ende 8. Monat, rafften sich noch einmal auf und kamen diesmal mit dem Zug nach Vorarlberg. Und dann kam just um diese Zeit zusätzlich eine Einladung meiner Schwester aus Niederösterreich. Sie feierte ihren sechzigsten Geburtstag und hatte bis zuletzt nicht gewusst, ob eine Feier würde stattfinden können.

Stefan und Tine hatten Lust, mich dorthin zu begleiten, und so machten wir uns nach einer gemeinsamen Woche in Feldkirch per Zug auf den Weg nach Niederösterreich. Ich muss zugeben, wir haben während der langen Zugfahrt alle drei das Tragen einer Maske verweigert, aber wir bekamen deswegen keinerlei Probleme. Der Zug war ohnehin halb leer.
Wir hatten eine wunderbare Feier mit Familie und nahen Bekannten meiner Schwester. Anschließend ging die Feier praktisch noch drei Tage in einem etwas verkleinerten Familienkreis weiter.

Tine und Stefan beschlossen, von Budweis aus nach Berlin zurückzufahren, Karten wurden per Internet bestellt, und meine Schwester und ich würden sie mit dem Auto bis dorthin zum Bahnhof bringen. Anschließend würden wir beide noch einen Abstecher nach Hluboka machen, um dort das Schloss wenigstens von außen zu besichtigen, das wollte ich schon lange. Soweit so gut, aber dann lief auf einmal alles schief.

Erst begann das Auto meiner Schwester bei einer Einkaufsfahrt in die nahe gelegene Stadt fürchterliche Geräusche zu machen. Wir kamen noch bis zur Werkstatt, Bremsscheiben kaputt, es blieb uns nichts anderes übrig, als das Auto stehenzulassen. Fieberhaft suchten wir nach einer Zugverbindung nach Budweis und Gott sei Dank fand sich auch eine praktikable Lösung. Die Schwiegereltern meiner Nichte würden sie bei ihrer Abreise zum nächstgelegenen Bahnhof bringen. Tine ging es an diesem Tag nicht gar so gut. Es war ihr leicht übel und sie hatte ein bisschen Bauchschmerzen. Sie meinte, wir bräuchten uns keine Sorgen machen, das hätte sie öfter. Die beiden versprachen, noch am Abend aus Berlin anzurufen, und wir nahmen traurig Abschied.

Bis in die Nacht hinein warteten wir vergeblich auf einen Anruf, dafür kam am nächsten Morgen ein Mail: Carl ist in Prag auf die Welt gekommen und es geht allen gut. Meine Schwester und ich wären am liebsten sofort ins Auto gesprungen um den neuen Erdenbürger in Prag zu begrüßen. Aber obwohl das Auto inzwischen wieder fahrtüchtig war, gab es Probleme. Per Handy konnten wir die beiden nicht erreichen und mir wurde bewusst, dass ich nicht einmal den Nachnamen meine „Schwiegertochter“ wusste, den wir gebraucht hätten, um in diversen Prager Krankenhäusern nach ihr zu fragen. Wahrscheinlich hatte ich sie einmal danach gefragt, aber da wir natürlich ihre norddeutsche Familie nicht kannten und wir diesen Namen einfach nie benutzten, hatte ich ihn sofort wieder vergessen. Ein paar Tage später stellte sich heraus, dass uns nicht einmal ihr Rufnamen Tine weitergeholfen hätte, denn laut Geburtsurkunde heißt sie Jennifer, das hat uns nur nie jemand gesagt. Außerdem hatten wir im ersten Überschwang darauf vergessen, dass man uns wegen der Corona ohnehin in kein Krankenhaus eingelassen hätte. Wir gaben unsere Träumereien zähneknirschend auf.

Am nächsten Tag fuhr ich, wie ursprünglich geplant, schweren Herzens per Eisenbahn zurück nach Vorarlberg. Stefan musste noch Dokumente aus Berlin holen. Einen Tag später verließ Tine das Krankenhaus und beide fuhren zurück nach Berlin. Es wurde September, bis ich mein Enkelkind endlich sehen und im Arm halten konnte.
Ich weinte, als die drei wieder nach Berlin fuhren. Wann würden wir sie wiedersehen. Der nächste angedrohte Lockdown ließ bereits Schlimmes befürchten.