…es mich auf existenzielle Fragen zurückwirft.
Corona betrifft mein Leben, weil ich mich beruflich und persönlich viel mit dem Thema Krankheit, Sterben, Tod beschäftige. Weil ich Menschen in Gruppen oder Einzelarbeit dabei begleite, ihre Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung zu erstellen.
Und natürlich frage ich zuallererst mich selbst: Sind meine Papiere noch aktuell? Das mache ich jedes Jahr um die Rauhnächte-Zeit. So habe ich es auch in diesem Jahr gemacht, und es war der Anlass, mal weiterzudenken. Was, wenn ich an Corona erkranken würde? Was, wenn solch eine Erkrankung bei mir einen schweren Verlauf nähme, so wie es nun mal statistisch gesehen manche treffen kann?
Bei mir? Bei mir doch nicht, sagt die andere Stimme in mir. Warum sollte ich einen schweren, gar lebensbedrohlichen Verlauf haben? Nun, ich halte mich an die Zahlen und die Wahrscheinlichkeiten, wäge ab: Keine gravierenden Erkrankungen wie z.B. Atemwegserkrankungen, andererseits werde ich bald 70, gehöre also von daher zur Risikogruppe.
Von Anfang an hat mich das gewurmt, dass ich als Ü-65-Jährige in diese Risiko-Kategorie gepackt werde, obwohl ich mich doch recht gesund und geistig fit fühle. Na ja, ein Zipperlein hier und da, etwas Bluthochdruck, immer wieder Rücken und so weiter und so weiter. Aber sind das wirklich Faktoren, die einen schweren Verlauf wahrscheinlich werden lassen? Hin und her geht mein innerer Dialog.
Demütig verweile ich wieder bei dem ‚Warum ich nicht?‘. Ich fordere von mir, mal bis zu Ende zu denken. Was will ich für mich? Will ich im Fall der Fälle eine intensiv-medizinische Behandlung, gar eine Intubation und den Einsatz eines Beatmungsgerätes? Mit offenem Ausgang, mit der Ungewissheit, wie es mir anschließend gehen würde, ob ich danach gesunden könnte oder gravierende Beeinträchtigungen davontragen würde?
In mir entwickelte sich im Laufe der Beschäftigung mit dieser Frage langsam die Antwort: Nein, ich will es nicht! Nein! Und ich will es schriftlich verfügen: Im Falle einer schwer verlaufenden Covid-19-Erkrankung möchte ich keine intensiv-medizinische Behandlung, sondern ich wünsche mir eine palliative Begleitung, sodass mein Leiden gemildert und ich genügend sediert würde. (ich denke mit Grausen an Atemnot oder Erstickungsanfälle). Soweit hatte ich es klar und es fühlte sich richtig an. Konsequent. Passt zu dem, wie ich durchs Leben gehe und zu meiner Einstellung zum Tod.
Doch wie verfüge ich das? Immer wieder lese ich, dass es keine Änderung der Patientenverfügung braucht, da Covid-19 nicht zu den üblicherweise beschriebenen Fällen zählt, in denen eine solche gelten soll. Oder anders ausgedrückt: Bei einer Covid-Erkrankung gibt es ja eine reelle Chance zur Heilung, sodass eine gängige Patientenverfügung dann nicht greift. So die gängige Argumentation, ich war damit aber nicht zufrieden.
Ich hörte mich um, suchte im Internet und wurde fündig bei der Deutschen Palliativstiftung. Weiß nun nach einem sehr informativen Telefonat: Ich kann eine Ergänzung einfügen, in der ich explizit angebe, wie im Fall einer Covid-19-Erkrankung oder ähnlichen viralen Infektion verfahren werden soll.
Die nächste Hürde tat sich mir gedanklich auf: Würde ich in meinem Wohnort einen Palliativdienst finden, der mich begleiten würde? Würden nicht alle zurückschrecken und aufschreien, wenn sie nur das Wort corona-infiziert hören?
Es war sehr beruhigend, als ich wenig später erfuhr, dass es hier in der Region einen Speziellen Ambulanten Palliativ Dienst, gibt, die die häusliche Versorgung auch bei Covid-19-Erkrankten übernehmen würden. Wie gut dies zu wissen. Für mich, für meine Familie, meine Freund*innen. Und für die Beratung in meiner Praxis.
Meine eigene Patientenverfügung ist inzwischen geändert. Juristen haben sie überprüft und für wasserdicht befunden. Welch erleichtertes Gefühl! So kann ich, wohlwissend, dass ich dies alles bedacht und geklärt habe, alle diese Papiere in die Schublade legen und mich meines Lebens weiter erfreuen. Immer wieder schöne Dinge in meinen Alltag einladen. Singen, tanzen, schreiben. Kontakte pflegen, soweit es eben möglich ist. Ich werde weiterhin gut für mich und mein Immunsystem sorgen, so dass ich gesund bleiben kann und eine mögliche Covid-19-Infektion leichter überstehen würde.
Und sollte es doch anders kommen, dann soll es wohl so sein.