Yuma, 64, Wortspielerin, lebt vom täglichen Blick auf den Rhein bei Koblenz

Vielleicht ist Corona nur…

…eine Ausrede dafür, dass ich mich gemütlich zurücklehne und wohlig einigele.

Ich las vor Wochen den Brief, den ich Ende 2019 an das Jahr 2020 geschrieben hatte, als noch niemand etwas ahnte von Corona. Was da alles stand! Hinausgehen, Bewegung, auf Leute zugehen, Kontakte pflegen, offen sein für Neues. Lebenslust feiern, lachen, austauschen, geben, nehmen. Ich wollte der in mir schlummernden Fröhlichkeit wieder mehr Raum geben, ihr Gelegenheiten bieten sich auszutoben, nicht mehr länger die Gaben, die in mir verborgen liegen, verkümmern lassen. Ich wollte raus. Raus aus alten Gewohnheiten, Bequemlichkeiten und ich wollte die Zweifel hinter mir lassen. Mich nicht länger hinter vermeintlichen Schwächen verschanzen. Ich wollte die Welt erstürmen, Gedanken tanzen lassen und über meine Schatten springen. Das alles schien möglich, denn ich nehme mir die Freiheit, alles zu tun, was anderen nicht schadet. Ich wusste, es ist meine Entscheidung, dafür zu sorgen, dass es mir gut geht. Das gab mir Kraft und Zuversicht. Lachend blickte ich 2020 entgegen, beseelt von dem Glauben an mich selbst. Ich würde die Macherin meines Lebens sein und aus mir herausgehen.

Ja, raus wollte ich. Viel raus! Und was geschah stattdessen? Corona sperrte mich ein und ich ließ mich einsperren. „Wie schön,“ dachte ich noch im Frühling am offenen Sonnenfenster sitzend, „jetzt hast du richtig Zeit.“ Und ich konnte sogar an Tagen der Arbeit in den Wald gehen und zusehen, wie die Spitzen der Zweige allmählich ein grüner Flor überzog. Konnte mir den Tag einteilen, wie ich es wollte. Ferien. Ich genoss die Abgeschiedenheit und den ganz neuen Freiraum, las, schrieb, lernte die Vorteile von Zoom und Facebook zu schätzen und begegnete Menschen ganz in der Ferne.

Doch nach Monaten des Genusses verlor diese Freiheit im Eingesperrtsein an Attraktivität. Nun fühlte ich mich doch wieder allein, wägte vorsichtig ab, ob und mit wem ich mich überhaupt noch treffen könnte, wurde ängstlich, ohne es zu wollen – ohne es mir ehrlich zugestehen zu wollen. Nun war ich wieder dort in meiner Einigelei, nur noch viel tiefer als zuvor. Bis hierhin hatte ich sie mir schönreden können, hatte ich doch immer gewusst, womit ich mich beschäftigen konnte. Aber nun war alle Kraft verpufft, mit der 2020 so spritzig begonnen hatte. Mit der Schließung sämtlicher Sportangebote hatte der Bewegungsdrang nachgelassen. Ich schrieb und las und saß und kuschelte mit meiner alt bekannten Passivität. Da muss doch was gehen! Sport per Video? Die Versuche scheiterten nicht am Angebot. Spaziergänge? Das Wetter machte nicht mit. Telefonate mit Freunden? Ach, heute nicht, morgen. Es ist doch so schön, so ruhig, so besinnlich, wenn die Tage ohne jeden Anspruch von außen nur so dahinfließen wie der Fluss vor dem Fenster. Doch aus der Stille, die Raum für Gedanken freigibt, wurde freudlose Stummheit. Zu selten noch ein Lächeln, fast nie ein lautes Lachen, kein vergnügliches Dasein im Miteinander. Immer weniger Austausch, immer weniger Denkanstöße. Dumpfheit.

Und dennoch. Ich bin auch heute noch überzeugt davon, dass ich trotz aller Beschränkungen die Freiheit habe, mich für mehr Ausgelassenheit und ein bewegtes Leben zu entscheiden. Vielleicht ist Corona ja nur eine Ausrede.