Alle im letzten und diesem Jahr ausgefallenen Feste nachfeiern? Die runden Geburtstage von Cornelia, Peter, Anne, Wolfgang, Daniel und Sabine? Nein, das will ich nicht!! Dazu die vielen Verabredungen ins Ungewisse, die gerade ausgesprochen werden, die hören sich für mich an wie kleine Drohungen. So ganz „normal“ bin ich da vielleicht nicht. Aber was ist schon normal? Das zeigt uns doch diese Zeit, dass es für diesen einen Auslöser namens Corona so unglaublich viele unterschiedliche Umgangsweisen gibt. Fast acht Milliarden wahrscheinlich. Acht Milliarden Weltbilder, acht Milliarden innere Universen!
Unglaublich, diese Menge, und wer sollte sich da anmaßen, über richtig und falsch zu entscheiden? Ich nicht. Ich kann nur hoffen, mit meinen eigenen Reaktionen klarzukommen. Die erstaunen mich immer wieder. Zumal sie sich ändern, wie das Bild einer weiten Landschaft sich mit dem Tagesgang der Sonne. Doch manche Bilder, manche Gedanken wiederholen sich in mir. „Keine Termine im Kalender, hurra!“ ist so einer. Oder „Wie schön, so wenig Leute treffen zu müssen.“ Bis hin zu „Ich finde Corona gar nicht so übel.“
Das traue ich mich kaum auszusprechen. Denn natürlich weiß ich, wie anders andere Menschen diese Zeit erleben, wie erschreckend, wie belastend, wie bedrohlich, wie erschöpfend.
Und dann frage ich mich: Bin ich im Grunde meiner Seele a-sozial? Ich glaube nein. Ich glaube, meine Seele hat so viele Schichten, dass sie diese Seite – unter vielen anderen – auch haben darf. Corona ist nun die Lupe, das Mikroskop, durch das wir einzelne Seiten übergroß betrachten können. Dann dürfen geheime Gedanken aus ihrem Versteck kommen, wie „Mir graut schon davor, wenn alles wieder ‚normal‘ wird.“
Wenn uns diese Lupe eines Tages wieder aus der Hand genommen wird, dann darf sich mein Gesamtbild wieder zurechtrücken. Dann werden auch die anderen Seiten in mir wieder ihren Platz einnehmen. Ihren Platz, von dem sie sich freundlicherweise zurückgezogen hatten, damit einzelne Details sich mir in Groß präsentieren können. Dann werde ich das Mosaik „Christine“ wieder als Ganzes wahrnehmen, als buntes Zusammenspiel und Kunstwerk. Aber dann werde ich einzelne Muster besser kennen, und ungewohnte Farben werden mir vertraut geworden sein. Ich werde sie wiedererkennen und annehmen als wichtiges, aber nicht einziges Element meines Gesamtbildes.
Und wenn im Sommer die Freunde und Verwandten ihre runden Geburtstage nachfeiern wollen? Dann werde ich von Mal zu Mal neu entscheiden, ob ich dabei sein möchte oder ob ich meinem Mosaiksteinchen „Kontakt, nein danke“ mehr Beachtung als früher schenken will.