Christine, 62, Stuttgart, verheiratet, 2 erwachsene Kinder, freie Mitarbeiterin in einem PR-Büro

Trotz Corona fühle ich mich rundum wohl in meinem Körper!

…Hmmm, stimmt das? Wirklich? Meine erste Körperreaktion, die sich nach dieser Behauptung meldet, ist eine sehr Corona-typische: ein Husten. Genauer gesagt: Es kratzt im Hals und auch etwas tiefer. Ein Hustenreiz, unübersehbar und ununterdrückbar.

Mein Mann und ich haben uns – blödsinnigerweise – angewöhnt, wann immer jemand hustet, zu spötteln: „Aaaha, Corona!“ Das ist natürlich nur ironisch gemeint, und Gottseidank bislang auch bloß ein Scherz geblieben. Bis heute hatten wir niemanden in unserem Umfeld, der tatsächlich an Corona erkrankt wäre.

Aber das Verrückte ist doch: Jeder könnte krank sein. Und noch viel verrückter finde ich meine Reaktion auf diesen Gedanken: zurückzucken wie vor einer heißen Herdplatte, sobald mir jemand zu nahekommt. Nicht nur bei mir beobachte ich das, sondern auch an anderen. Neulich bog ich im Supermarkt um ein Regal und stand unvermittelt direkt vor einer älteren Dame, die mir genauso flott entgegenkam. Und was taten wir beide? Wir hüpften förmlich einen Schritt zurück. „Wie von der Tarantel gestochen“, das ist der etwas altmodische Ausdruck, der mir in dem Moment durch den Kopf schoss.

Mein Gegenüber war nun wahrhaftig keine grässliche, schwarze, gefährliche Riesenspinne, und wir mussten beide lachen, grüßten uns freundlich und zogen dann weiter unseres Weges. Doch im Nachhinein bleibt mir mein Lachen doch im Halse stecken. Es war nämlich nicht die einzige Situation, in der mir menschliche Nähe mittlerweile fast körperliches Unbehagen beschert. Zum Beispiel in Fernsehbildern aus „grauer Vorzeit“. Bilder von „damals“, als man noch dicht an dicht auf einem Rockkonzert stand, das Bad in der wogenden Menge genießend und lauthals mitsingend. Spontan möchte ich dann rufen: „Das geht doch nicht! Passt auf, Corona!“ Außerdem erkenne ich an mir noch etwas Verrücktes: Nach einem Jahr Corona macht es mir nichts aus, Freunde auf Distanz zu begrüßen. Sie herzlich umarmen wie früher? Muss doch gar nicht sein.

Das erschreckt mich. Wird das so bleiben? Werde ich zurückfinden zu körperlicher Nähe, wenn der Spuk mal vorüber ist? Will ich das überhaupt noch? Oder habe ich mich in meinem watteweichen Corona-Kokon so erfolgreich eingesponnen, dass ich nicht mehr hinaus will – oder gar kann.

Gestern haben wir einen Freund besucht. Er hatte Geburtstag, und wir haben eine Stunde draußen in seinem Garten zusammengesessen. Wir waren sechs Personen, alle schon über 60 Jahre alt und ganz brav auf ausreichenden Abstand bedacht. Schön war es, diese Freunde wiederzusehen. Aber wieder bin ich über mich erschrocken. Denn auf dem Heimweg höre ich mich zu meinem Mann sagen: „Weißt du was, das war doch jetzt prima. Eine Stunde Geburtstagsfeier reicht doch vollkommen. Das könnte man nach Corona eigentlich beibehalten.“

Was bedeutet das? Werde ich langsam a-sozial? Werde ich nächstes Jahr immer noch so denken?

Diese Fragen beschäftigen mich. Und während ich hier und jetzt darüber nachdenke, hat sich mein Husten von vorhin längst in Luft aufgelöst.

Ein unsicheres Gefühl in der Magengegend aber, das bleibt.