Sarah, Mitte 30, zwei Kinder in Kita und Grundschule, aus einer Großstadt in Deutschland, fast Vollzeit berufstätig

Corona betrifft mein Leben. Und zwar, zum Beispiel…

…auf so viel mehr Ebenen, als ich das vor einem Jahr je erwartet hätte.

Und gleichzeitig ist so vieles trotzdem normal und geregelt. Ganz häufig wird mir bewusst, dass es mein Umfeld verändert, aber den Kern von mir selbst nicht betrifft. Ich bin doch immer noch der selbe Mensch, oder?

Beim Schreiben der ersten Sätze überlege ich immer noch, welches Beispiel ich nehmen könnte. So viele Dinge erscheinen mir banal und abgegriffen: Die Distanz, die durch die Masken entsteht, meine Tränen beim Abholen aus der Schule, das Bild von allen Leuten mit Masken, die sich gegenseitig nicht gut hören können. Das ewige Widerholen von Dingen, die man vermisst. Immer wieder der gesellschaftliche Abgleich: vermisse ich denn das richtige, also so, wie alle anderen auch?

Ganz oft ist Corona nur das Grundrauschen, aber das, was mich wirklich beschäftigt und bewegt, das wissen nur wenige Menschen. Die Trennung wäre auch ohne Corona passiert, und obwohl unsere Trennung bisher nicht schlimm ist, relativiert sie die Pandemie. Sowohl die Beziehung und Trennung, als auch Corona bewegen sich in Wellen, halten mich in einem Schwebezustand, von dem ich nicht weiß, wie lange er dauern wird und wie ich damit umgehen werde. Trifft mich plötzlich ein direkter Augen-Masken-Blickkontakt und bringt die Traurigkeit zum Fließen? Oder verharre ich tagelang im Wenig-Spüren, in der Selbsttäuschung, dass es mir total gut geht? Ich mit aller Kraft das Bild erzeuge, das ich so gerne von mir hätte? Stark. Unabhängig. Resilient. Und dabei schon auch empathisch und emotional berührbar, aber eben auf eine kontrollierte Art, im angemessenen Rahmen.

Schwebezustand seit fast einem Jahr. Das macht etwas mit einem selbst. Da kann man gar nicht der Mensch bleiben, der man war. Das Zusammenzucken bei Büchern, Filmen und Serien, wenn niemand Abstand hält oder Maske trägt. Die Blockwartgedanken, die aufkommen, wenn jemand die Maske nur über dem Mund trägt und die Nase rausschaut. Aber vielleicht werden dadurch nur Züge an einem selbst offensichtlicher, die sowieso schon da sind.

Dabei wird mir eben wieder bewusst, dass ich immer noch kein konkretes Beispiel hab, wie Corona mein Leben betrifft. Meine Antwort schlängelt sich so wie früher in der Schule: wenn ich die Frage nicht beantworten konnte, schrieb ich alle mir bekannten Fakten auf und hoffte, dass sie irgendwie passten, so dass ich nicht mit null Punkten rausging. Da Aufzählungen normalerweise meine Gedanken ordnen, erscheint es mir unmöglich, nur einen Aspekt oder nur ein Beispiel zu nennen. In seiner Alleinigkeit wirkt etwas viel größer und wichtiger, als es im Zusammenspiel mit den anderen Punkten ist. Außerdem macht es mich angreifbar: warum denn genau dieses Beispiel? Was will sie denn damit darstellen?

Manchmal mag ich die Einschränkungen und Veränderungen. Es ist so leicht, vermeintliche Wünsche und Vorhaben damit abzutun, dass es wegen Corona leider nicht möglich ist. Auf der anderen Seite bin ich manchmal ganz wehmütig, dass etwas nicht geht und auch auf absehbare Zeit nicht gehen wird. Für die Kinder tut mir vieles so leid. Keine Schwimmbäder, ständig Maske und Händewaschen – es wird so viel Vernunft von ihnen gefordert. Ich will das gar nicht so stark an mich heranlassen, aber mit Sicherheit wird das Auswirkungen auf die Kinder haben. Ich halte es fern von mir, denn sonst müsste ich mir auch eingestehen, dass ich keine Kontrolle über meinen Umgang mit der Pandemie habe. Meine Gedanken und Gefühle sind ebenso halt- und orientierungslos, wie die Zeit der Maßnahmen. Es gibt kein fixes Ende, es wird nicht wieder normal und so eine Trennung steckt man nicht einfach so weg. Das trifft mich tief in mir, ich komme da nicht wie durch ein Wunder heil raus, es wird für immer zu meinem Lebensweg gehören. Corona. Lockdown. Lockerung. Lockdown. Trennung. Was kommt als nächstes?