…sind: Meine Füße.
Sie kribbeln und sind unruhig, als wollten sie gleich loslaufen.
Im ersten Lockdown ging ich 3 Wochen lang jeden Tag 1 Stunde walken, laufen oder zumindest spazieren. Es war gefühlt die einzige Art von „selbstgestaltetem Freiraum“, die geblieben war, und gleichzeitig fast eine Automatik, ähnlich einem Schock-Zustand.
Die Natur erwachte in diesem März 2020, unbeeindruckt von Corona, und mit jedem Schritt taten es Teile von mir der Natur gleich. Unbeeindruckt vom Corona-Wirbel, aber beeindruckt vom Erwachen und Wachsen der Natur wurden meine Füße immer schneller, das Herz weiter, die Hoffnung und Zuversicht auf „ein gutes Ende“ dieses Unbegreiflichen, das da hereingebrochen war, größer.
Die Runde, die ich täglich ging oder lief, liegt in der Nähe einer Autobahn. Normalerweise habe ich immer Kopfhörer dabei, um das laute Autosummen mit meiner eigenen Musik zu übertönen. Nun war das nicht mehr nötig. Es waren fast keine Autos auf der Autobahn, daher war es wunderbar ruhig bis auf die Geräusche, die die Natur hervorbrachte: Vogelgezwitscher, Wind in den Bäumen, ein wenig Hundegebell in der Ferne. Der Himmel hatte ein eigenes, leuchtendes Blau, das mit jedem Tag intensiver wurde, an dem die Luft nicht durch Abgase getrübt, sondern klar und frisch war.
Das Tollste aber waren die Tiere, denen ich begegnete. Durch die Stille, durch das Wegbleiben der Autos und auch vieler Menschen trauten sie sich aus Wald und Gebüsch. Rehe und Hasen kreuzten meinen Weg, und je länger der Lockdown dauerte, umso mehr verloren sie ihre Scheu.
Doch so sehr mir dieses tägliche Schauspiel gefiel, irgendwann wollten meine Füße mich weiter tragen, auch und besonders an Orte, wo sie noch nie waren.
Und so begann ich, meine Nachbargemeinden zu Fuß anzusteuern. Am liebsten über Feldwege, ausgestattet mit Google-Maps „zur Sicherheit“, aber hauptsächlich intuitiv und mit Freude am Entdecken neuer Wege. Wie erstaunt war ich, als ich herausfand, dass ich eine Gemeinde über Feldwege und Weinberge fast ebenso schnell zu Fuß erreichen konnte wie mit dem Auto, wo ich die „Umwege“ über Straßen nehmen musste.
Dieses Entdecken des „zu Fuß-Gehens“ und „etwas aus eigener-Körperkraft erreichen-Könnens“ war einfach unglaublich und machte mich zutiefst glücklich.
Ich nahm mir deshalb ganz fest vor, dieses Lebensgefühl, diese Lebensqualität zu behalten…
Aber sobald der 1. Lockdown zu Ende war und der Sommer kam, kamen auch die Ausreden: Zu weit, zu heiß, zu viel anderes zu tun, was vorher verboten war.
Im 2. Lockdown im Herbst 2020 wollte mein Kopf das Wandern wieder aufnehmen. Meine Füße allerdings wollten nicht so recht mitziehen. Die Schritte waren zögerlich, und der Kopf musste gewaltig nachhelfen – nicht immer mit Erfolg. Auch wurde die Welt nicht mehr leise und still, was ja Teil meines erlebten Genusses gewesen war.
Wie ich das vermisste: Diese intensive Begegnung mit der Natur, die Ruhe und dieses „mich-Spüren“.
Statt dessen der „Halb-Lockdown“: Viele Autos unterwegs, Menschen – auch ich – in spürbarer Unruhe. Hin- und hergerissen zwischen Vorsicht und Pflichten, Einsamkeit und Zwangs-Nähe, Überarbeitung und Zwangs-Ruhigstellung, Verbotenem und Erlaubtem, ohne klare Zukunftsperspektiven.
Meine Füße wollten jetzt weder in betriebsamer Unruhe und Hektik bewegt, noch hochgelagert und ruhiggestellt werden.
Im Gegensatz zum Frühling mit seiner Aufbruchsstimmung war die Natur im Herbst im Rückzug: Und so auch ich. Der Kopf befahl dennoch Bewegung, und so absolvierte ich als Kompromiss neben 3x in der Woche Yoga noch 2x in der Woche Krafttraining. Interessanter Weise wollte mir aber das Tanzen, für mich Lebensfreude pur und über 10 Jahre intensiv in einer Gruppe trainiert, verbunden mit der Musik, die meine Füße wie von selbst in Bewegung versetzten, für dieses Bewegungsprogramm einfach nicht mehr einfallen.
Spaß und Leichtigkeit waren dahin, was mir erst viel später bewusst wurde.
Mit den Schulschließungen bot ich meiner Schwiegertochter an, home-schooling-Oma zu werden und täglich einen meiner Enkel zu mir zu holen. Die beste Entscheidung und das Geschenk dieses Herbstes, für mich, meine Schwiegertochter und meinen Enkel, mit dem mich immer schon Besonderes verband.
Nun war ich auch wieder viel „auf den Beinen“, täglich und mit großer Begeisterung. Bis Ende Jänner 2021. Nach den Semesterferien in der ersten Februarwoche wurden unsere Schulen wieder „halb“ geöffnet. Meine Schwiegertochter meinte im Februar ohnehin weniger zu tun zu haben, wollte mich „nicht zu sehr belasten“ und die 3 wöchentlichen home-schooling -Tage selbst managen.
Meinen Füßen fehlte plötzlich wieder die Bewegung, das Herumlaufen drinnen und draußen. Aber draußen war es kalt und grau, drinnen und in mir irgendwie auch. Keine Bewegungsmotivation weit und breit. Das wollten Kopf und Herz nicht zulassen, und Mitte Februar schließlich wurde in einem Gespräch meiner Schwiegertochter und mir klar, dass zumindest 1-2 Tage als home-schooling-Oma doch wieder sehr fein für uns beide wären.
Bei diesem Gespräch stellte ich fest, dass wir verlernt hatten Klartext miteinander zu reden, uns ungezwungen und frei heraus auszudrücken. Nicht nur meiner Schwiegertochter und mir, auch Anderen erging es so. Zu viel „Selbstgespräche im Kopf“, zu viel Rückzug, zu viel „Annahme“ und „Hinnahme“ statt Nachfragen, zu viel falsch verstandene „Rücksichtnahme“ aufeinander, die man uns medial ja mehrmals täglich nahelegt.
Zu Beginn dieses Textes wunderte ich mich etwas, dass ausgerechnet meine Füße sich als Erstes meldeten. Ich hätte auf meinen Kopf oder meinen Bauch getippt.
Nun, am Ende des Textes, denke ich: Möglicherweise wollen sie mir ja sagen, dass es für mich…
… Zeit ist, die Phase des Wartens und Schweigens und Stillstehens zu beenden.
… Zeit ist, wieder neue Wege zu beschreiten. Gezielter, gestärkter und klarer als vor einem Jahr, und nicht nur beim Spazierengehen.
… Zeit ist, meine Fähigkeiten zu nutzen, aktiv eine neue Gegenwart zu schaffen und der Zukunft den Boden zu bereiten – ohne Erwartung, dafür mit viel Vertrauen, Kreativität und Freiraum für
Unerwartetes.
… Zeit ist, nicht auf Frühling, bessere Zeiten oder Handlungs-Erlaubnisse zu warten, sondern auf sie und meinen Bauch zu hören – und einfach loszugehen. Jetzt.