Liesel Speedy, Anfang 50, leidenschaftliche Altenpflege- und Betreuerin, aus Westdeutschland

Corona der Paukenschlag

Corona kommt mit einem Paukenschlag in mein Leben. Es stellt alles bei mir auf den Kopf. Wer bist du eigentlich?

Corona- eine hässliche, zerstörerische Fratze, der ich mich fügen muss? Eine Fratze, die mich zwingt, meine Beziehungen aufs Eis zu legen? Angst macht sich breit. Wie soll ich jetzt leben? Mit möglichst wenig Menschen um mich rum? Mein Leben heißt, mit Menschen in meiner Nähe zu leben.

Vor allem in meinem Traumjob in der Altenpflege. Als die ersten Nachrichten über mich schwappten, dachte ich:“ Das ist weit weg. Es wird nichts Schlimmes sein, wenn eine andere Katastrophe hereinbricht. Hört Corona von selbst wieder auf.“ Dann kommt die Bedrohung als schwerwiegende, rasend sich verbreitende Lungenkrankheit wie ein Tsunami auf mich zu. Plötzlich dreht sich das Bild. Es muss gehandelt werden. Wir sollen unsere Kontakte minimieren? Aber wie? Meine Arbeit, meine Freizeit, meine ehrenamtliche Tätigkeit in einem Buchladen bestehen aus Kontakten. Aber mir ist sofort klar, ich muss jetzt ganz stark aufpassen. Diese Krankheit verbreitet sich offensichtlich unbemerkt, trage ich sie vielleicht schon in mir? Die Alten in meiner Einrichtung werden es nicht überleben. Das ist mir klar. Nur wie kann ich es verhindern, Ihnen den Tod zu bringen?

Ich muss es genauer wissen. Ein wenig Hintergrundwissen habe ich als Hygiene- Beauftragte. Ich weiß, wo ich hinhören muss. Das RKI gibt mir täglich Informationen raus. Das gibt mir Sicherheit. Um ein Problem in den Griff zu bekommen, organisiere ich gerne. Also erarbeite ich Pläne, wie ich meine Mutter schützen kann. Ich will ihr helfen. Sie soll zu Hause bleiben. Keine Kontakte zu ihren Enkeln pflegen. Ich kaufe ihr ein, helfe ihr im Haushalt. Alles unter der neuen 1,5 Meter Abstand-Formel. Alle anderen Kontakte außer zu meinem Mann streiche ich. Schnell merke ich, dass mich eine tiefe Einsamkeit beschleicht. Meine Arbeitsstätte wird geschlossen. Betretungsverbot. Da erfasst mich Unruhe. Was passiert nun mit den hilfsbedürftigen Senioren? Wer versorgt sie? Viele von ihnen sind doch allein auf sich gestellt zu Hause. Mein Chef hat die gleichen Gedanken und wird aktiv, innerhalb ein paar Tagen hat er eine Notgruppe aufgebaut. Es wird nach den Senioren geschaut. Wer braucht Hilfe zu Hause? Wer braucht die schützende Notgruppe?

Ich finde es echt klasse, wie unsere Einrichtung reagiert, als erste im Umkreis. Wir erstellen Konzepte. Wie können wir eine Kleingruppe betreuen, und bestmöglichen Schutz bieten? Eine spannende Reise beginnt.

Doch wie geht es mir persönlich in meinem Herzen? Ich traue mich nur noch ab und zu mit meiner Tochter oder Freundin auf Abstand draußen spazieren zu gehen.

Das fühlt sich für mich sehr fremd an, wie in einer neuen Welt. Aber ich zwinge mich in die Einsamkeit, geht es doch darum zu verhindern, dieses Virus unbemerkt den Senioren zu bringen. Doch irgendwann schleichen sich Zweifel heran. Ich gehe der fachlichen Frage nach: Welche Virulenz zeigt Covid-19, welchen Infektionsweg nimmt es? Ist es eine Tröpfchen- oder doch eine aerogene Infektion? Ich frage meinen Hausarzt. Dieser sagt klar, dass es eine Tröpfchen Infektion ist.

Einige in unserer Familie wollen mir Berichte von angesehenen Ärzten zum besseren Verständnis schicken. Diese lehne ich ab. „Ich beziehe meine Informationen ausschließlich vom RKI,“ sage ich. Doch bald macht eine Sache mich stutzig. Bisher sagte das RKI, dass ein Mund -Nasen- Schutz nicht diese Viren abhält.

Allein der Abstand bringt Schutz, doch mit einem Ruck wendet sich das Blatt. Es sollen Masken eingesetzt werden, egal welche. Ob es ein Stoff ist, (es werden massenweise alte, stinkende Betttücher zu Mund-Nasen-Barrieren verarbeitet) ein Schal, ob Maler-Masken, egal wie. Die neue Erkenntnis heißt: Wenn ich eine Mund-Nasen-Barriere trage, schütze ich meinen Nächsten, nur dann bin ich solidarisch, liebe meinen Nächsten. Wenn ich keinen Abstand halten kann. Nun denke ich, dann halte ich lieber Abstand. Einzig in der Pflege und Betreuung funktioniert dies nicht. Also werde ich mich wohl an einen Mund-Nasen -Schutz gewöhnen müssen.

Auf der Arbeit merke ich schnell, dass ich echte Probleme bekommen. Schwindel, Luftnot, Probleme beim Sehen und psychische Beklemmungen überkommen mich. Nach Feierabend brauche ich erst einmal ausgiebig frische Luft und Wind in die Nase. Doch die Maßnahmen sollen nur 2 Wochen sein. Dies werden wir zusammen schaffen. Aber warum hört nichts auf nach zwei Wochen? Die Einschränkungen nehmen zu. Die Geschäfte sind geschlossen. Auch mein geliebter Buchladen, wir überlegen uns da auch Lücken. Ein Abholservice entsteht. Es kommt mir fremd vor, meiner Freundin ein Buch mit lang gestrecktem Arm aus der Tür zu reichen.

Irgendwie muss ich der Sache auf den Grund gehen. Immer mehr Leute aus meinem Umfeld schicken mir einen Film von einem Professor der Epidemiologie. Irgendwann höre ich ihn, doch das erschüttert mich und stellt mein Leben in den letzten Wochen infrage. Besonders ein Satz bleibt haften: „Wie kommt es, dass in so einer schwerwiegenden weltumspannenden Krise die Christen aufgehört haben, zusammen zu beten?“

Auch will ich mir mal die Lage von meinem Schwager erklären lassen, aus medizinischer Sicht. Die große Frage, die mich von Anfang an umtreibt:“ Gibt es die bei diesem Virus die Möglichkeit der a-symptomatischen Infektion?“ Welche Erleichterung für mich. Ich bekomme Antwort von immer mehr Seiten. Ich beginne, frei zu werden, frei von dieser sich immer mehr umklammernden Angst, frei, wieder ungehindert Luft in meine Lungen zu lassen.