Christine, 62, Stuttgart, verheiratet, 2 erwachsene Kinder, freie Mitarbeiterin in einem PR-Büro

„Aber“

Ja, auch ich könnte an Corona sterben. So ist es. Es klingt vielleicht brutal, aber es ist die Wahrheit.

Warum ich? Da kann ich nur kontern: Warum nicht ich? Mit meinem Bluthochdruck entdecke ich mich in jedem Text, jeder Liste, über der das Stichwort „Risiko“ rot blinkt. Und über 60 bin ich auch, wenn auch noch weit weg von den 80ern, wo das Blinklicht hektisch und dunkelrot wird.

Noch kenne ich niemanden persönlich, der oder die an Corona erkrankt war. Die Erfahrungsberichte, die ich höre, stammen aus Fernsehen und Zeitungsinterviews. Und was ich da erfahre, das beunruhigt mich. Ich möchte kein Corona bekommen, so viel steht schon mal fest.

Meine Freundin Jutta ist da viel gelassener. „Wenn ich Corona kriege, dann bin ich höchstwahrscheinlich unter den vielen, die keine Symptome spüren. Und wenn doch, sind sie bestimmt mild. Hey Christine, wir müssen doch gar nicht zu denen gehören, die ins Krankenhaus kommen! Und bis auf die Intensivstation oder gar den Friedhof? Das schaffst du gar nicht!“

Jutta hat recht. Doch in meinem Kopf wohnt ein kleines Männchen namens „Aber“. „Aber das haben alle die, die jetzt auf den Friedhöfen liegen, auch gedacht“, flüstert es verschwörerisch. Oder: „Aber warum sollte es ausgerechnet bei dir gut ausgehen?“

Ich kenne ihn gut, den kleinen „Aber“. Und im Grunde mag ich ihn, denn er hat mich auch schon vor Unfug bewahrt. Manchmal übertreibt er allerdings, dann wirft er mit Bedenken und Gefahrenmeldungen so lange um sich, bis ich einknicke und meine Pläne aufgebe.

Ich bin meinem „Aber“ aber nicht böse. Denn ich weiß, sein Ziel ist, mich zu schützen. Und inmitten einer Pandemie braucht er sich nicht groß ins Zeug zu legen, ich gehorche brav den äußeren und inneren Argumenten und verhalte mich coronavernünftig.

Doch geht es überhaupt um Corona? Steht dahinter nicht ein viel umfassenderer Gedanke? Nicht nur „Ja, auch ich könnte an Corona sterben“. Sondern: „Ja, ich werde sterben.“ Das ist so ungeheuerlich und so unwiderlegbar, dass selbst mein lieber „Aber“ kleinlaut wird und nur noch leise flüstert: „Aber bitte noch nicht heute. Und auch nicht morgen.“