Maisonne, 61 Jahre; verheiratet, drei erwachsene Kinder, wohnhaft in einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein, Verwaltungsangestellte, die es liebt, kreativ zu sein

Es könnte mir den Tod bringen

Ich möchte nicht über die Krankheit Corona schreiben. Sie trifft mich an der schwächsten Körperstelle, der Lunge. Genau dort will sie sich einnisten. Nicht einmal viel reden mag ich über die Probleme, die mich an jener Stelle seit meiner Kindheit plagen. Ist auch nicht notwendig. Ich huste. Das weiß jeder aus meinem Umfeld. Ich mag mir nicht vorstellen, wie die Krankheit Corona mich quälen wird. Ich möchte das nicht erleben. Ich fürchte mich davor. Diese Angst kann ich nicht wegschreiben. Sie ist zu real, zu nah.

Und nun ist Corona da. In dem Ort, in dem ich wohne. Das Virus könnte mir den Tod bringen, und meine Pläne 80 Jahre alt zu werden, zunichtemachen. Ich will vergessen, dass es das Virus gibt. Ich bin wütend auf es. Möge es der Teufel holen.

Ich möchte nicht über die Krankheit Corona schreiben. Es reicht, dass ich in meinem Berufsleben zuhöre, wenn andere ihre Sorgen bei mir lassen. Es ist gut, dass sie es tun. Tröstlich, die Last zu teilen. Ich bin da und höre zu.
Ich sehe ihre ungeweinten Tränen. Und darf sie nicht in den Arm nehmen. Sie sind mir nah und fern zugleich.
Sie sehen Tag für Tag, wie das Virus Menschen quält. Und können nicht helfen. Dabei ist es ihr Beruf, zu helfen. Ein Beruf, der sie im Kampf gegen die Krankheit an vorderste Stelle stellt. Sie sind es nicht gewohnt, so hilflos zu sein. Ich sehe ihr Leid.
Es ist für sie schwer, nichts tun zu können, weil es nichts gibt, das die Krankheit lindert. Wie gerne verabreichen sie Medikamente, die heilsam sind. Wann wird es sie geben? Ich spüre ihre Furcht vor der Krankheit. Vor dem „nicht helfen können“. Traurig sitzen sie neben mir. Sie tragen den Mund-Nasen-Schutz. Ich halte Abstand und das Fenster ist geöffnet. Mit dem Herzen sind wir uns nah.

Ich möchte nicht über die Krankheit Corona schreiben, dann denke ich an das Mittelalter mit den Pocken. Unzählige Menschen starben daran. Und es dauerte Jahrzehnte, bis die Krankheit besiegt war. Lange gab es keine Medikamente gegen die Pocken. Niemand ahnte, woher die Krankheit kam. Sie nahm ihnen die Sicherheit. Misstrauen unter den Menschen breitete sich aus. Sie igelten sich in ihren Häusern ein. Und starben trotzdem an der Krankheit. Die Pocken verschwanden erst, als die Menschen geimpft wurden. Aber es war ein langer Weg dahin. Was taten sie in der Zwischenzeit? Wie gingen sie mit den Pocken, die Krankheit ihrer Zeit, um?
Ich frage mich, ob sie vergleichbar mit Corona ist und wie lange der Sieg über diese neue Krankheit dauern wird? Erlebe ich es? Ich weiß es nicht. Ich möchte nicht über Corona schreiben. Es gibt zu viele Fragen, die bisher niemand beantworten kann.

Ich möchte nicht über die Krankheit Corona schreiben, denn dann denke ich an Italien. Das ist das Land der Leichtigkeit und des Sonnenscheins. Im Frühjahr 2020 trug es jedoch Trauer. Es starben Menschen an der Krankheit Covid 19. Zu viele. Ich trauerte mit ihnen. Und ich war froh, in Deutschland zu leben.
Ich möchte nicht über die Krankheit Corona schreiben, denn dann erinnere ich mich an schreckliche Bilder. Sie ziehen an meinem inneren Auge vorüber. Sie gingen um die ganze Welt. Ich wollte nicht glauben, was ich sah. Es war unfassbar. Ich schüttele den Kopf.
Meine Bilder zeigen, wie Tote nachts in LKWs geladen werden. Ich will sie nicht sehen. Die Fahrzeuge fahren zu unbekannten Orten. Dort warten Gräber auf sie. Massengräber. Mir ist das unheimlich. „Wie würdelos!“, denke ich. „Nun wird Erde über sie geschaufelt und niemand kann Abschied nehmen.“ Ich sehe die Bilder. Mein Herz weint.
Diese Situation erinnert mich an einen Krieg. Sind wir im Krieg? Ja. Ich meine ja. Mit reden werden wir das Virus nicht besiegen. Und siegen wollen wir. Sonst können wir nicht überleben. Ich bin entsetzt. Ich dachte, ich würde niemals einen Krieg erleben. Wie lange wird er dauern? Ich fürchte den Rest meines Lebens und darüber hinaus. Das nagt an mir. Ich frage mich, wie wird sich das Leben mit Corona verändern? Ich trauere um das, was ich hatte.

Ich möchte nicht über die Krankheit Corona schreiben. Sie könnte mich töten. Und ich stelle mir die Frage, wie das mit dem Sterben und mir überhaupt ist. „Dir ist der Tod in die Wiege gelegt.“ „Ich weiß das.“ „Irgendwann werde ich sterben. Ob mit oder ohne Corona“, zum Glück weiß ich nicht, wann das ist. Jetzt lebe und atme ich. Das macht mich froh.