Katrin Schuh, wohnhaft im Kreis Balingen, Deutschland, Clownin, Kursleiterin für Encausticmalerei ,62 Jahre alt, im Haushalt lebende 89jährige Mutter, ihr Mann (Pensionist), ihr Hund und zeitweise ihr 26jähriger Sohn

Alle sind zu Hause

Plötzlich haben so viele Leute Zeit. Ich muss die Zeit festhalten , suchen. Alle sind zu Hause. Semesterferien werden verlängert. Schön Simon nun noch länger daheim zu haben. Aber auch er braucht von meiner Zeit.

Mama kann zu keinem Seniorentreffen, Seniorencafé, keine Seniorengymnastik findet statt und in ihr Lieblingscafé kann sie auch nicht. Sie ist jetzt nur noch zu Hause.

Mein Mann hat keine Vereinstreffen, keine Sitzungen, keine Verabredungen. Er ist jetzt zu Hause.

Mein Kunst-Unterricht in der Schule ist abgesagt. Kein Lesekreis, kein Sport, keine Clownsauftritte. Unser regelmäßiges Clownstreffen , alles ist abgesagt.
Mein Theaterabo – alle Aufführungen verschoben auf unbestimmte Zeit. Ich bin nur noch zu Hause.

Jeden Tag nach dem Frühstück wird mir die Frage gestellt: „Was kochen wir denn heute? Das WIR ist nur so dahin gesagt , denn kochen muss immer ich und entscheiden WAS, auch. Kochen für vier Leute, jedem soll es schmecken und für mich muss es auch passen. Rebellion; ich koche was mir schmeckt . Wer unzufrieden ist muss ein Brot essen. Aber es sind alle zufrieden mit dem was auf dem Teller ist. Ich sage mir : Also dann sei auch du zufrieden.

Alle sind zu Hause. Es wird diskutiert und gestritten. Manchmal mit einem wertvollen Ergebnis , wenn Simon, mit seiner unaufgeregten Art, Ruhe und Ordnung in ein Thema, bringt. Ich fühle mich leer, ausgebrannt. Wo bleibt meine ZEIT? Zeit für mich! Ich würde so gerne schreiben, malen, nähen, stricken usw.

Wann gibt’s Mittagessen? Alle sind zu Hause
Immer hat jemand Hunger. Nicht nur nach einer Mahlzeit.
Hunger nach Beschäftigung, Zuwendung. Ich fühle mich so leer und ausgesogen.

Mein Spiegel sagt mir morgens : DU musst es verändern. Es war schon immer so in deinem Leben , alle verlassen sich auf dich.

Was gibt’s zum Mittagessen? Einfach mal sagen : Heute Nichts ! Einfach mal frei machen. Es ist noch genug zu tun z. B. waschen und putzen. Alle beschäftigen sich mit dem was ihnen gerade so einfällt. Der Fernseher läuft fast den ganzen Tag ununterbrochen. Die Hängematte ist besetzt.

Ich muss raus in die Natur. Das ist meine Rettung. Der Hund geht mit mir sowieso lieber als mit Herrchen. Schön.
Mein lieber Sohn geht auch mal mit mir eine Runde durch den Wald. Wir haben gute Gespräche. Er ist so klar, so verständnisvoll und doch auch rebellisch. Das hat er von mir. So ein Quatsch. Er ist so wie er ist. Ich bin glücklich wie ich ihn erleben darf. Manchmal denke ich an die schwierigen Zeiten mit ihm. Es hat sich alles zum Guten entwickelt. Er ist so erwachsen geworden seit er mit dem Studium angefangen hat. Er ist ein guter Gesprächspartner.

Alle sind zu Hause.
Ich frage mich oft : wo bin ich falsch abgebogen im Leben? Vielleicht ist der Weg den ich genommen habe aber auch richtig gewesen . Woher soll ich das wissen? Immer musste ich schon Verantwortung übernehmen. Für meine Eltern. Hauptsächlich für meine meine Mutter. Wenn nur Papa noch leben würde. Er fehlt mir immer wieder. Jeden Tag schaue ich ihn auf dem Foto, in der Küche an. Mit ihm ich im Zwiesprache fällt mir manche Antwort ein. Ich wollte immer eine große Familie aber dann hätte ich ja noch mehr Leute zu Hause.

Wenn es mir zu viel wird gehe ich in den Wald. Ja und warum soll ich nicht mal meine bunten Klamotten anziehen? Und die Rote Nase! Die Bäume im Wald schauen mich an und die Sonne lacht mit mir über die Clownerie im Wald Ohne Publikum. Es macht mir so viel Spaß.

Alle sind zu Hause. Ich bin im Wald Juchee. Es geht mir gut. Ich mache ein paar Fotos und Videos mit dem Handy für meine Clownskolleginnen, zum Austausch und natürlich für mich. Ich vermisse sie so sehr und unsere Treffen.

Im Sommer wenn es heiß ist spielen wir immer auf einem alten Friedhof im Schatten unter großen, alten Bäumen. Auch sie sind fast alle zu Hause. Alleine?

Es geht mir gut. Ich muss öfter die Frage überhören : Wann gibt’s was essen?
Ich will mit mir selber fröhlich sein , lachen und einfach verrückt sein. Aber auch meine Tränen will ich fließen lassen, wenn mir danach ist. All das geht an Besten im Wald. Es begegnet mir selten jemand und das ist schön. Ich will mit meinen Gedanken alleine sein.

Schnell laufen geht nicht weil mein Hund nicht mehr der Jüngste ist. Der Hund bremst mich aus und gibt mir Ruhe.

Immer mehr wird mir bewusst : Es wird noch lange so sein. Alle sind zu Hause. Ich bin verantwortlich für …..ja für was ? Ich gebe jetzt einfach mal ab , da wo es am einfachsten ist. Was gibt es heute zum Mittagessen? Was hättet ihr den gern? Was wollt ihr denn selber machen? Da brennt schon mal was an, läuft was über oder schmeckt nicht. Ich hab es nicht gekocht, ich bin unschuldig.

Alle sind zu Hause. Alle Fragen an mich. Wer bin ich?
Ich liebe sie doch auch alle. Warum fragt ihr mich so viel? Ich weiß es doch auch nicht wie es weiter geht und was sich verändern wird in unserem Leben.
Ich wollte doch gerade mein Leben neu sortieren, entrümpeln und verändern.

Da kommt dieses Corona auch noch dazu. Das ist mir zu viel !

Jetzt kommt mir meine Kreativität zu Gute. Es wird schon weiter gehen. DANKE