Heidemarie, 50 Jahre, Sekretärin, Single, Mitglied der Kärntner Schreiberlinge, lebt mit ihrem Kater in Villach

Corona betrifft mein Leben, und zwar…

Es ist eigentlich alles wie immer: aufstehen, frühstücken, waschen, anziehen und hinausgehen, durch die Straßen gehen, durch die menschenleeren Straßen gehen an den lokalen Geschlossenheiten vorbei und wenn mir doch jemand entgegenkommt, bin ich versucht, auf die andere Straßenseite zu wechseln. Ich brauche neuerdings einen Gehsteig für mich allein. Ich könnte aber auch auf der Straße gehen, denn die Autos sind eingeparkt, ich bleibe aber doch auf dem Gehsteig, der die Bahnhofstraße begleitet und mich zum Bahnhof führt.

Aber ich gehe nicht hinein, in den Bahnhof, ich gehe vorbei. Früher bin ich nicht vorbeigegangen, früher bin ich hineingegangen in den Bahnhof, mit der Rolltreppe ins Untergeschoß gefahren, um mir beim Fahrkartenautomaten eine Fahrkarte zu kaufen, bei dem Fahrkartenautomaten unter der Rolltreppe, den ich eigentlich gar nicht mag, diesen neu modernen Fahrkartenautomaten. Ja, der Alte war besser, umgänglicher und sympathischer, wenn man das über einen Fahrkartenautomaten überhaupt sagen kann. Aber früher habe ich mir eine Fahrkarte gekauft und bin flotten Schrittes zum Zug geeilt, früher, als ich noch in den Bahnhof hineingegangen bin.

Ich könnte jetzt auch in den Bahnhof hineingehen, die Rolltreppe hinunterfahren und beim Fahrkartenautomaten eine Fahrkarte kaufen. Ich könnte jetzt auch wegfahren, auf den Bahnsteig eilen und in den Zug einsteigen, mit Maske halt, aber ich könnte es tun. Ich tue es aber nicht, denn wohin sollte ich auch fahren? Denn dort, am Ende der Gleise, am anderen Bahnhof wartet niemand auf mich, wartet nichts auf mich. Da gibt es keine geselligen Treffen mit Freunden, da verwöhnt mich keine Gastwirtschaft mit ihren Spezialitäten und Eigenheiten, da lockt nicht Kultur und Sport aus dem eigenen Tempel hinaus.

Ich könnte jetzt einsteigen und wegfahren, wie früher, nach Klagenfurt vielleicht. Im Zug sitzen, aus dem Fenster schauen, die Landschaft vorbeifliegen lassen und dem Schaffner die Fahrkarte zeigen, das könnte ich alles machen. Warum nicht? Und dann? Am Klagenfurter Bahnhof aussteigen, zum Fahrkartenautomaten gehen, eine Fahrkarte kaufen, in den nächsten Zug eigensteigen und wieder heimfahren, mit Sehnsucht, Traurigkeit und Verzweiflung im Gepäck. Der Blick würde wieder durch das Zugsfenster gehen ohne die Landschaft zu sehen. Er wäre schwer, traurig und es würde einem die ganze Situation plakativ vor Augen gestellt werden. Es wäre alles wie immer? Nein, wäre es nicht und ich würde dieses Nein durch den Wagon schreien, durch das geschlossene, getönte Zugsfenster. Ich könnte schreien, wie ich will, denn es wäre sonst niemand da, kein Schaffner, kein weiterer Fahrgast, ich wäre allein, allein auf weiter Flur, allein auf meiner Fahrt.

Es ist nichts wie immer und es tut weh. Ein Leben hat aufgehört, einfach so, von heute auf morgen wurde Leben eingestellt, jenseits aller Vorstellungskraft, eingesperrt und weggesperrt. Ich kann es nicht begreifen, weil ich es nicht begreifen kann, ich soll nämlich Abstand halten, vom Begreifen Abstand halten. Aber vielleicht ist es ja ganz gut so, dass ich es nicht begreife, dass ich mir denke, es ist eigentlich alles wie immer, dass ich alles einfach vergesse. Und dann stehe ich vor dem Bahnhof, schaue auf die Anzeigetafeln und sehe klar, habe es begriffen. Es ist nichts wie immer.