Moana, 56, schwäbisches Nordlicht mit großer Liebe zum Meer, lebt mit ihrem Sohn in Hamburg

Corona betrifft mein Leben, und zwar…

…weil ich noch mehr Zeit am Computer verbringe als vorher. Mehr noch, ich verbringe sogar Zeit im Computer. Ein großer Teil dieser Computerzeit ist eine besondere Zeit mit mir selbst. Als säße ich stundenlang vor einem Spiegel – und das in Begleitung von Kolleginnen, manchmal ganz Fremden und manchmal Freundinnen. Ich sitze davor – und ich sitze auch drin. Ich schaue rein, und ich schaue raus. Ich sehe nicht nur die anderen, ich sehe immer auch mich selbst. Ich streife durch mein Gesicht und stelle fest, Lippenstift ist auch in Coronazeiten angesagt. Er vertreibt mein Kachelunbehagen ein wenig und stimmt mich milde. Er bringt Farbe auf den Bildschirm und setzt einen Akzent, den ich mag.

Im und vor dem Bildschirm entsteht eine andere Form des Zusammenseins.

Ich nehme mich wie doppelt wahr, kann mir nicht entkommen, bin auch für mich selbst optisch immer im Blick. Kein Ausweichen – ich schaue mich an und kann meinem eigenen Blick nicht entfliehen. Und gleichzeitig sehe ich mich als Teil der anderen. Der Bildschirm ist nur ein Ausschnitt, der es mir vor Augen führt. Aber ich kann es auch fühlen. Wir sitzen alle im gleichen Bildschirm. Dieser Bildschirm wird zum Boot, mit dem wir durch dieses immer noch unbekannte Gewässer Corona treiben.

Ich sehne mich nach einer Sternkundigen, die uns führt, während wir uns anschauen.

Ich weiß, es sind noch viel mehr – auch wenn ich nicht alle sehen sehen kann und nicht alle gleichzeitig aus meinem Bildschirm blicken können.

Ich oszilliere zwischen Schmerz, Ohnmacht und Wut, mich erfassen Empathieschauer, ich würde am liebsten die Verhältnisse umkehren. Vive la révolution fällt mir ein – das Motto meines Studiums in Paris, dieses so unbeschwerten und glücklichen Jahres.

Und dann wünsche ich mir, dass dieses Virus nicht nur Schrecken, Angst und Tod über uns bringt, sondern uns mit Empathie infiziert, mit einem sich rasant ausbreitenden Gefühl dafür, dass wir uns alle wahrnehmen können, merken, wie wir miteinander verbunden sind. Und dass wir nur gemeinsam dieses Boot ans sichere Ufer steuern können. Ich wünsche mir, dass diese Empathieinfektion nicht nur von Mensch zu Mensch überspringt, sondern auch von Mensch zu allem, was lebt. Dass sie unseren ganzen Planeten erfasst. Dann würde die ganze Erde zu einem einzigen Empathiehotspot.

Dafür wäre ich Corona sogar dankbar.