Solveig, eine Mutter mit Teenage-Sohn, 49 Jahre, wohnt in einer Großstadt in Deutschland, bildet andere und sich fort, arbeitet überwiegend selbstständig, häufig ehrenamtlich, regelmäßig noch in einem EUR 450,00-Job, stellt Projekte auf die Beine und gerne mal das Leben auf den Kopf

Corona betrifft mein Leben. Und zwar, zum Beispiel…

… darf ich nicht mehr singen in dem Pflegeheim, in dem ich arbeite.

Und irgendwie – verstumme ich auch zu Hause. Bis dato, also bis Corona, bin ich mit meiner Gitarre los, oftmals mit Texten in Großschrift unter’m Arm, aber immer mit vielen Liedern im Kopf und im Herzen. Diese vielen innigen und von Gefühlen getragenen Momente, diese Seelentreffen, dieses Unbeschwerte und Ungeschminkte … mir fehlt das ungemein.

Am 17. März 2020 der Lockdown – da durften wir zunächst gar nichts mehr. Ich konnte meine Projekte in Tagespflegen oder im Pflegeheim nicht mehr umsetzen, Termine wurden abgesagt und ich musste als 450-EUR-Kraft in der sozialen Betreuung auch erst einmal zu Hause bleiben. Bis Gründonnerstag 2020. Da durfte ich wieder. Kommen. Und singen. Mit Gesichtsvisier und da noch ohne Mund-Nasen-Schutz …

Dann die Diskussion mit den Aerosolen in der Luft – sie nahm zu. Der Chor, dem ich 2019 beigetreten bin (er wurde vor 35 Jahren gegründet, hat seit 30 Jahren denselben Chorleiter), durfte seit dem Lockdown nie wieder gemeinsam proben. Bis heute nicht. Bis in den Herbst hinein trafen sich noch wenige Hardliner, unter einem Eingangsdach eines Restaurants, organisiert von einer Chorschwester. Nur mäßig geschützt gegen Nieselregen und Feuchtigkeit. Aber immer mit Abstand. Klar. Die Chorgemeinschaft, viele schon seit 25 Jahren und mehr dabei, viele davon 70+, zählt zur Risikogruppe.

Wie eben auch die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims, mit denen ich seit Herbst 2016 Musik mache. Schritt für Schritt habe ich mir diesen Traum erfüllt, mich weitergebildet und mich zertifizieren lassen. Und jetzt? Mache ich weiter Musik mit ihnen – nur diese Stimmung, die sich mit einer Gitarre erzeugen lässt, noch dazu mit Menschen einer Generation, die mit Gesang zu Hause aufgewachsen ist – die will nicht mehr aufkommen. Und wird sie zurückkommen?

Ende letzten Jahres wurden wir von 16 Bewohnern und Bewohnerinnen getrennt. Sie starben im Zusammenhang mit Corona. Wir mussten – viele Monate nach dem ersten Lockdown im März 2020 – einen Corona-Ausbruch erleben. Verkraftet haben wir ihn noch lange nicht. Er steckt in uns. Viele Situationen habe ich erlebt, die noch unsortiert in meinem Kopf umherschwirren. Ja, Musik mache ich weiter. Sie ist leiser geworden. Aerosolärmer. Wir spielen Zauberharfe. Ja, wir: Die ersten Bewohnerinnen sind angefangen und wir musizieren jetzt gemeinsam. Erinnern uns an ihre Kindheit – an bessere, aber auch schwierige Tage.

Das Jahr 2020 wurde für mich zum Jahr kleiner Projekte sowie der Weiterbildung im musikpädagogischen Bereich, aber auch die Klangschalen sowie die Klangmassagen in der Seniorenarbeit habe ich mir erschlossen. Habe Gelder bei einem Sozialfonds beantragt für meine Projektideen, aber auch für eine zusätzliche Zauberharfe und weitere Klangschlagen – und bin von der Jury mit Bewilligungen für fast alle Anträge belohnt worden. Mein Wunsch nach zusätzlichen Musikinstrumenten für die Seniorenarbeit wurde mir auf diese Weise kurz vor Weihnachten erfüllt.

So manches Mal – und gerade aktuell – merke ich, wie dieses Corona an mir zehrt. Wie ich verwaltet werde von Beamten und Regierung. Und wie schwierig es ist, kritisch zu bleiben und zu hinterfragen, ohne gleich eine Corona-Leugnerin zu sein. Diese Meinungsfreiheit, von der alle reden und die so wichtig ist in einer Demokratie – verankert in Art. 5 unseres Grundgesetzes – wie stark wird sie eingeschränkt? Weil wir eingeschränkt werden? Und weil wir uns selbst einschränken? Nicht mehr trauen? Nicht mehr treffen?

Mich beschäftigen auch diese Gedanken – nicht zuletzt habe ich ein anderes berufliches Standbein, in dem es um palliative Zusammenhänge geht. Und mit einem jungen Erwachsenen zu Hause, der nun demnächst sein „Corona-MSA“ macht. Viele Monate hatte ich das Gefühl, dass mich die Einschnitte durch Corona gar nicht so stark betrafen: Ich hatte weiter Arbeit, investierte in mich und bildete mich fort und wurde flexibler in meiner Arbeit mit Musik. Tag für Tag lasse ich mich nun weiter inspirieren, vertraue auf die Improvisation und das, was sich im Moment ergibt …

In jedem Moment stecken Wunder. Ich kann sie sehen. Meistens. Außer – ich hab‘ schlecht geschlafen oder zu wenig … oder an Tagen wie den vergangenen oder denen, die jetzt in kürzeren Abständen immer häufiger kommen: Tage, an denen ich mein Leben zurück will. Tage, an denen ich weiß, dass ich trotz aller Schutzmaßnahmen im Pflegeheim von 16 Menschen getrennt wurde. Tage, an denen ich an den ergriffenen Schutzmaßnahmen und ihrer Wirksamkeit zweifele. Zu Recht? Ich kann das nicht beurteilen. Ich vertraue der Regierung.

Ich mache weiter Musik mit meinen Leuten im Pflegeheim. Anders, als vorher. Leiser. Ich stelle mich der neuen Realität und suche nach coronamaßnahmenkonformen Schlupflöchern, um das Lachen und das Gefühl von Leichtigkeit und Lebensfreude, von Zuversicht und Hoffnung wachzuhalten. Ich mache weiter Musik. Demnächst auch wieder lauter. Die Vorbereitungen laufen. Ich werd‘ die Stereoanlage aufdrehen und wir werden auf die Pauke hauen! Jawoll!

Und dann lassen wir die Corona-Blase platzen …