Mariti, im Rentenalter, Schriftführerin in zwei Vereinen, genießt mit ihrem Liebsten ein Stadtrand- und ein Landleben in NRW

Corona bringt mich auf die Beine

Ein Gegenstand, der für mich in der Corona-Zeit besondere Bedeutung gewonnen hat, sind die Walking Stöcke. Aber möchte ich denn überhaupt über diese Stöcke schreiben? Mir scheint, der innere Widerstand, den ich nach fast einem Jahr immer noch überwinden muss, will sich im Schreiben fortsetzen. Alleine würde ich niemals die Energie aufbringen, mich täglich, also fast täglich, in die Funktionsklamotten zu schmeißen, die Schuhe zu schnüren und los zu marschieren. Aber mein Liebster, mein Motivator, hat die Parole ausgegeben „Lieber jetzt laufen, als mit 80 im Rollstuhl“. Er hat ja sooo recht.

Gymnastik fällt aus. Schwimmen gehen fällt aus. Also bleibt das Walken. Jedes Mal prüfe ich vorher die Situation, ob sich nicht doch noch ein Hinderungsgrund finden lässt. Mein Verstand sagt „Du bist erwachsen. Du kannst dich auch dagegen entscheiden.“ Der vernünftige Teil meines Verstandes sagt „Dann wärst du aber schön blöd!“ Und so ziehen wir morgens los, wenn ich halbwegs genug Kaffee getankt habe. Mein Widerstand ist schnell wie weggeblasen.

Die ersten Meter gehen wir durch die Siedlung. Dann kreuzen wir die Straße und sind schon im Felder-Bereich mit nur einzelnen Häusern. Im letzten Jahr, im ersten Lockdown, habe ich es sehr genossen, die kahlen Bäume zu sehen und die Strukturen ihres Geästes zu verfolgen, die sich je nach Uhrzeit und Sonnenschein wieder anders in Szene setzten. Es ist schön, dies jetzt wieder beobachten zu können – mit und ohne Schnee. Lange habe ich nicht mehr so viel Schnee gesehen wie in diesem Jahr. Die Ausblicke über die Felder mit einzelnen Bäumen am Wegrand hätten manchen holländischen Maler vor 300 Jahren in Verzückung versetzt. Allerdings waren nach drei Tagen die Wege so vereist, dass wir auf gestreute Wege in der Siedlung ausgewichen sind. Jetzt lässt sich der Frühling nicht mehr aufhalten.

Amseln, Meisen und Spatzen begrüßen uns täglich in wechselnder Reihenfolge. Die Schneeglöckchen und Krokusse blühen, und ein Magnolienbaum zeigt auch schon dicke Knospen. Fasane haben wir das ganze Jahr über gesehen. Letzte Woche stand ein Fischreiher mitten auf dem Feld, und es flogen zwei Bussarde über unsere Köpfe. Ich staune, dass ich vergessen konnte, wie sich das Leben im Wechsel der Jahreszeiten anfühlt. Als Kind habe ich das sehr bewusst wahrgenommen: eiskalte Hände nach einer Stunde Schlittenfahrt am Bahndamm oder leichte Benommenheit, nachdem ich stundenlang mit einer Freundin in der Sonne gelegen hatte. In den ersten Jahren als Berufstätige hatte ich noch das Glück, täglich durch eine Kastanienallee laufen zu können. In der letzten Phase meines Berufslebens habe ich aber anscheinend alle Energie darauf konzentriert, die geforderte Leistung zu erbringen, sodass ich am Ende des Jahres nicht hätte sagen können, ob der Frühling spät gekommen oder der Sommer besonders heiß war.

Die erzwungene Terminlosigkeit durch Corona hat Energien freigesetzt, die ich ins Walken umlenken konnte. Die Bewegung und der tägliche Kontakt mit der Natur haben sicher maßgeblich zu meiner Entspannung beigetragen. Meine Arthrose geplagten Hüft- und Kniegelenke sind weder viel geschmeidiger geworden. Es ist ein Genuss zu erleben, dass auch im Alter noch etwas besser werden kann.

Während des Laufens ist auch eine gute Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Manchmal formuliere ich im Kopf schon mal einen Text, den ich später in den 100-Worte-Kosmos auf Facebook eintrage.

Ich mache also mit meinen Walking-Stöcken nur positive Erfahrungen. Trotzdem immer noch die inneren Widerstände. Warum? Weil nach den anstrengenden letzten Jahren immer noch alles in mir nach Ruhe schreit. Aber der Energie-Pegel steigt, und der Widerstand wird langsam geringer. Ich will geduldig mit mir sein.