Hedo, 50, Familienfrau, Heilpädagogin, Musiktherapeutin, aus Thüringen

Ein Gegenstand, der in der Corona-Zeit für mich besondere Bedeutung gewonnen hat, ist…

…mein Paar Laufschuhe.

Sie standen viele Jahre recht ungenutzt, geringgeschätzt, ja verschmäht und ungeliebt im Schuhregal. Nur hin und wieder benutzte ich sie. Immer dann, wenn ich wieder mal neu entfachtes Fitness-Feuer spürte. Das brannte aber jeweils schnell wieder ab. Meine miese Lauf-Kondition bescherte mir so ein großes Unwohlsein, dass ich auch ohne Lauf-Training wunderbar leben konnte.
Geringgeschätzt hatte ich den Wert des „Einfach-so-durch-den-Wald-Laufens“. So viel Zeit verschwenden, in der ich so viel Sinnvolles, Praktisches, Nützliches erledigen könnte, das passt nicht zu mir!
Verschmäht hatte ich die Schuhe. Die vielen anderen Schuhe dagegen nutzte ich gern. Mit ihnen verband ich auch angenehmere Wege: den Alltag, den Garten, das Tanzen, das Wandern, das Baden und so weiter.
Ungeliebt waren die Laufschuhe; bedeuten sie für mich doch ein recht rotes Tuch.

Sie standen so ungenutzt geringgeschätzt, verschmäht und ungeliebt bis zu DEM Tag im Oktober.
Zwei Wochen musste ich in Arbeitsquarantäne verbringen. Ich bewohnte ein bewohnbares Fleckchen auf unserem Dachboden. Das Bad benutzte ich laut Absprache, wenn es niemand weiteres benutzte. Die Küche ebenso. Meine Familie versorgte mich kulinarisch und mit wohltuender Anteilnahme. Ich durfte laut Anordnung meines Arbeitgebers in Einvernehmen mit dem zuständigen Gesundheitsamt nur zur Arbeit fahren, dort unter Vollschutz arbeiten und wieder nach Hause zurückkehren. Ausdrücklich nichts anderes. Kein Einkauf. Möglichst nicht einmal tanken. Ausnahmslos niemandem begegnen. Das bedeutete auch, nur allein oder mit entsprechendem Abstand im Garten sein zu können. Da war nicht einmal die Konfirmation meiner jüngsten Tochter eine Ausnahme.

Ich fühlte mich jedoch bei all dem nicht allein. Das dienstliche Geschehen mit seinen Schatten- aber auch Sonnenseiten füllte mich bis zur Belastbarkeitsgrenze ordentlich aus. Die knappen erlaubten Kontakte taten mir gut. Wobei – „Normalität“ ersehnte ich bei all dem natürlich dennoch.
Unklare Turbulenzen bewirkten eine Woche Arbeits-Quarantäne-Verlängerung. Wie schrecklich! Ich mobilisierte meine Reserven zum weiteren Durchhalten.

Und dann kam DER Tag im Oktober, an dem laut Gesundheitsamt wieder mehr Normalität in mein Leben einziehen durfte. Die Arbeitsquarantäne endete.
Infolge einiger Gewissensprüfungen wagte ich es schon in der Dämmerung des Vorabends: ich packte die so lange ungenutzten, gering geschätzten, verschmähten und ungeliebten Laufschuhe ein. Sie dankten mir beim Verlassen des inzwischen hinteren unteren Platzes des Regals, dass ich sie endlich wieder nutzte. Ich schätzte den Wert plötzlich ungekannt hoch: „Einfach-so-durch-den-Wald-Laufen“-Können. Das bedeutete plötzlich nicht mehr Zeitverschwenden. Das hatte jetzt Sinn, bedeutete Freiheit, war Lebens-Erweiterung.

Ich wählte ein recht nahes, aber doch verborgenes Plätzchen am Waldrand beim Moor. Von hier aus konnte ich ein hoffentlich begegnungsloses Ründchen drehen.
Ich federte auf dem weichen Boden in anfangs zögerlichen, dann immer freudigen Schritten. Ich hüpfte. Ich fühlte Flügel dabei. Die herbstliche, feuchte, duftende Wald-Moor-Luft füllte mir die Lungen. Ich achtete nicht auf die Zeit. Beim Zurückkommen merkte ich, dass ich länger gerannt war, als es meine Kondition eigentlich erlaubte.

Inzwischen ist eine Liebe zu dem Paar Laufschuhe gewachsen. Sie tragen mich seitdem regelmäßig durch den Wald. Mein Fitness-Feuer entwickelte sich zu einer genüsslichen Glut; klein, aber seit DEM Vorabend im Oktober noch nicht verloschen.
Der konkrete Anlass – Corona und Quarantäne und all solche Turbulenzen – kann, ja soll jedoch schnell verlöschen.
Wie meine Haltung zu dieser höchstkomplexen Problematik ist, das kann ich bei den Laufrunden gründlich bedenken. Und Gelegenheit zum daraus resultierenden Handeln habe und nutze ich, während die Laufschuhe auf ihre nächste Runde warten. Wie gut!