Leni, 65, verheiratet, vier erwachsene Kinder, lebt nahe Linz im Mühlviertel, Freifrau - nach einem erfüllten Berufsleben, Weltenbummlerin

Hat COVID-19 mich frei gemacht?

Acht Monate waren vergangen, seit Corona in unser Leben getreten war. Die anfangs noch ängstliche Neugierde hatte still und beharrlich einem immer begrenzteren Alltag Platz gemacht. Was anfangs auch mehr Freiraum wegen des schrumpfenden Terminkalenders versprochen hatte, war ein zeitlupenartiges Erwachen in eine neue, bis ins Private verordnete Lebensrealität geworden.

Anfang November wachte ich eines Donnerstags mit Kopfschmerzen auf.
Ich kenne das. Aber noch nie vorher hatte es so rasend gehämmert in meinem Oberstübchen. „Vielleicht war es gestern doch ein wenig zu turbulent mit den Enkelkindern“, dachte ich mir und stand auf.
Morgentoilette ging gerade noch. Auch den Knopf der Kaffeemaschine drückte ich. Kaffee hilft immer gegen mein Kopfweh. Aber als die erhoffte Medizin die Tasse gefüllt hatte, lag ich schon wieder im Bett.

So begann meine COVID-19 – Geschichte. Zwei Tage später konfrontierte mich ein positiver PCR -Test mit dieser Realität. Aber auch mit unzähligen Fragen von mir an mich: Wie ist das möglich? Haben meine Vorsichtsmaßnahmen nicht ausgereicht? Habe ich dann gestern womöglich die Familie meines Sohnes angesteckt? … Welchen Verlauf wird die Krankheit nehmen? Was wird sie machen mit meiner Lungen- Autoimmunerkrankung?
Und ich spürte plötzlich, dass die monatelange Panikmache, vor der ich mich zu schützen geglaubt hatte, ganz subtil bei mir angekommen und jetzt lebendig geworden war.

Aber auch von der Außenwelt blieb ich nicht verschont. Als bekennende und in meinem Freundes- und Familienkreis bekannte Corona-Maßnahmen-Hinterfragerin musste ich mir das Etikett einer leichtsinnigen, verantwortungslosen, unsolidarischen Zeitgenossin aufdrücken lassen. Kritisch hinterfragen hieß -das war eine meiner frühen Erkenntnisse- leichtsinnig durch das gefährlich gewordene Leben zu gehen. „Jetzt wirst du endlich auch zur Kenntnis nehmen, was los ist.“ So und ähnlich klangen die Kommentare von außen.

Meine Covid-Geschichte ist zum Glück gut ausgegangen. Auch für meine Schwiegertochter und meinen Mann.

Hat COVID-19 mich frei gemacht? Frei von sozialer Isolation? Von Ausgeh- und Besuchsverbot? Frei von der Angst, nicht ausreichend angepasst zu leben? …

In gewisser, herzerwärmender Weise- ja: Ich umarme meine Kinder wieder und darf eine krebskranke Freundin besuchen, so oft sie es will. Auch erlaube ich mir, freundschaftliche Kontakte zu pflegen, vorausgesetzt, die Freunde erlauben es sich selbst. Zu meinem Glück habe ich solche Freunde. Und ich bleibe- jetzt mit Antikörpern versorgt- unbeeindruckt von der Bewerbung der Corona-Impfung.

Hat die Krankheit mich wirklich frei gemacht?
Nach wie vor muss ich mich den Ausgangsbeschränkungen beugen, kann ich nicht ohne FFP2-Maske in den Zug steigen, fallen meine Yogastunden und meine Tanzabende der Pandemie zum Opfer.

Auch muss ich mich nach wie vor konfrontieren mit schaurigen, an die Wand gemalten Zukunftsszenarien und freundlich gemeinten Ratschlägen: „Jetzt wirst du ja auch ein wenig anders denken, nachdem es dich erwischt hat…“

Und nicht mehr reisen zu können ohne einen entsprechenden Impf-Nachweis – was für eine befremdliche Vorstellung!

Hat COVID-19 mich frei gemacht?
Der Hauch von Freiheit bleibt vorerst bescheiden…