Laura, 68, verheiratet, wohnt am Land, im aktiven Ruhestand

Ja, ich könnte an Corona sterben…

Die Krankheit, das Virus hält uns seit einem Jahr gefangen, natürlich kamen mir immer wieder einmal Gedanken, dass auch ich daran erkranken oder sogar sterben könnte – aber diese Gedanken waren niemals sehr nahe, ich hatte keine Angst, empfand sie nie als bedrohlich.

Ich vertraue einerseits meinem Körper, dass er mit einer Krankheit fertig werden kann, ich vertraue darauf, dass unser Gesundheitssystem gut aufgestellt ist und alles gemacht würde, um die Krankheit zu heilen.

Ich komme in ein Alter, wo der Tod keine weit entfernte Gestalt ist, die mit mir nichts zu tun hat, sondern der Schlusspunkt des Lebens ist, den man nicht selbst setzt, sondern der einen manchmal aus heiterem Himmel treffen kann.

Vor kurzem hat mir ein Freund die Frage gestellt: „Bist Du mit Deinem Leben zufrieden?“ und diese Frage beschäftigt mich seither fast jeden Tag. Ich suche nach Antworten – ja, ich bin grundsätzlich zufrieden mit meinem Leben, es bringt nichts, im Nachhinein Dinge zu bereuen, die ich nicht mehr verändern kann … es fallen mir schöne Momente ein, die ich erleben durfte – aber auch unerfüllte Träume.

Ja, ich könnte an Corona sterben, aber es ist keine Horrorvorstellung, ich kann sagen, dass ich vieles erreicht, erlebt habe. Ich hatte einmal in meinem Leben Todesangst. Ich wurde überfallen, der Mann hielt mir Mund und Nase zu und drückte mich mit seinem Knie auf den Boden, ich dachte, ich würde ersticken; da war ich noch keine 30 Jahre alt – ich habe überlebt und mir wurden bis heute noch fast 40 weitere Jahre geschenkt; daher ist die Vorstellung, an Corona zu sterben, nicht angsteinflößend.

Einige Wochen nach dem Überfall war ich in einem kleinen Flugzeug unterwegs und auf Grund von starken Turbulenzen wackelte es ziemlich stark. Meine Sitznachbarin schaute mich ganz ängstlich an und fragte, ob ich denn keine Angst hätte und ich erinnere mich noch heute an das Gefühl in mir, ich habe gerade einen Überfall überlebt, dieses bisschen Schaukeln kann mir keine Angst machen.

Ja, ich könnte an Corona sterben, aber ich habe keine Angst davor. Ich halte mich an die Maßnahmen von Abstand halten und Maske tragen, wasche öfter meine Hände als zuvor und treffe nur wenige Leute, ich sehe mich nicht in Gefahr – aber ich gehe nicht angstvoll durch diese Zeit. Ich glaube es gibt einen Schutzmechanismus in meinem Kopf, der angstvolle Gedanken an den Tod ausblendet.

Mein Sohn war mit elf Jahren an Meningitis und Enzephalitis erkrankt und sechs Wochen im Krankenhaus; während dieser Zeit starben einige Kinder an genau diesen Krankheiten und meinem Sohn ging es sehr schlecht, bis endlich die Cortisonbehandlung griff. Ich war fast immer bei ihm im Krankenhaus, aber nicht einmal kam mir der Gedanke, dass auch er sterben könnte – erst sehr viel später, als er längst wieder gesund und ohne Nebenwirkungen sein Leben leben konnte, kam mir ins Bewusstsein, dass ich damals großes Glück hatte und so sehe ich auch ihn als ein Geschenk – jeder Besuch von ihm oder bei ihm bereitet mir Freude.

Das Leben ist ein Geschenk, wir sollen es nicht mutwillig aufs Spiel setzen – so sehe ich auch die Einhaltung der Regeln zur Vermeidung von Covid-Ansteckungen – doch wir haben keine Macht darüber, wann und wie es enden wird, außer wir wählen einen selbstbestimmten Tod.

Ich versuche den Augenblick zu leben – derzeit liegt soviel Ungewissheit und Unsicherheit in der Zukunft – daher kann man keine großen Pläne machen, sondern sich von tag zu Tag freuen, am erwachenden Grün des Frühlings, den ersten Blüten, den immer mehr wärmenden Sonnenstrahlen.

Auf die Frage „Bist Du mit Deinem Leben zufrieden?“ werde ich weiter nach Antworten suchen, bis ich die Frage bedingungslos mit JA beantworten kann – und so kann mir auch Corona keine Angst machen.