Maren, 53, verheiratet, Mutter einer erwachsenen Tochter, freiberufliche Instrumentalpädagogin, wohnhaft im Rheinland, in Deutschland

Corona – wer oder was bist du?

Vor einem Jahr begann ein neues Wort die Welt zu erobern: Corona. In meiner Vorstellung malte dieses Wortes das Bild einer schönen Krone, silbrig glänzend, mit tiefroten Perlen auf den Kronenspitzen. Eine Krone, in der sich Sonnenstrahlen brechen, in deren Oberfläche sich nachts Mond und Sterne spiegeln. Corona, ein Name für etwas Wunderschönes, so dachte ich, für etwas Königliches, Majestätisches, Erhabenes. Corona, die Krone.

Corona. Auch der Name für ein Virus. Weil es so aussieht mit seinen kronenartigen Fühlern. Wie kann ein so kleines, fieses Virus einen so schönen Namen bekommen, denke ich. Ich fühle, wie es mir schwerfällt, bis heute schwerfällt, das böse, unberechenbare, sich ständig verändernde, uns auf das heftigste herausfordernde Virus mit diesem glänzenden, runden, freundlichen Wort zu verbinden.

Corona. Ein Jahr schon ist das Wort auch in meiner täglichen Aufmerksamkeit und mit ihm haben eine Fülle von neuen Wörtern in meinen Sprachgebrauch Einzug gehalten: Inzidenz, R-Wert, Warn-App, Alltagsmasken, Lockdown, Home-Schooling, Kontakttagebuch, Übersterblichkeit… Es schüttelt mich, während ich die Wörter schreibe.

In mir steigen Bilder auf zu den Wörtern, die ich schreibe, verdrängen das Bild der glänzenden Krone, vertreiben das warme Gefühl. Übrig bleiben Bilder, die verstören: von Ärzten in Ganzkörperschutzanzügen – wegen Corona, von sterbenden Menschen allein in Krankenhäusern – wegen Corona, von sehnsüchtigen Augen hinter Masken – wegen Corona, von leeren Straßen und Plätzen – wegen Corona.

Ich halte inne und hole tief Luft.

Wo ist eigentlich meine Krone? Meine Corona? Ich habe sie lange nicht gesehen. Ich blicke mich um. Da hinten, täusche ich mich? Blinkt dort nicht etwas ganz vorsichtig? Ich gehe darauf zu. Tatsächlich, meine Krone. Vorsichtig hebe ich sie auf und nehme sie in die Hand. Ein bisschen verstaubt sieht sie aus. Ich nehme ein Tuch und wische sie behutsam ab. Corona – meine Krone. Dann stelle ich sie auf die Fensterbank. Ein ruhiges Weilchen bleibe ich noch vor ihr stehen und schaue sie an. Da bricht ein Sonnenstrahl durch die dunklen Wolken und trifft meine Krone. Sie strahlt. Mich an.

Corona – nicht nur ein Virus.