Mariti, im Rentenalter, Schriftführerin in zwei Vereinen, genießt mit ihrem Liebsten ein Stadtrand- und ein Landleben in NRW

Corona als Memento mori

Ich habe keine Angst davor, Corona zu bekommen. Vielleicht ist das überheblich. Aber in mir drin ist eine große Zuversicht, nicht an dieser Krankheit zu sterben, auch wenn es mich mehr oder weniger heftig erwischen sollte. Da ich einen fürsorglichen Liebsten habe, wäre auch die Versorgung zu Hause kein Problem. Es gab nie einen Moment, in dem ich mir diesen Virus gewünscht habe, aber ich hatte schon mal den Gedanken, dass meine Zeiten im Krankenhaus nicht die schlechtesten waren. Nach dem Abklingen der Beschwerden konnte ich nämlich den Zustand fast völliger Verantwortungslosigkeit genießen. Also jedenfalls vier Tage lang und solange ich mich nicht über den unsensiblen Umgang des Personals mit meiner sterbenden Bettnachbarin aufregen musste. Auch wenn ich mir ab und an diesen Zustand der Verantwortungslosigkeit wünsche, ist er nur für einen begrenzten Zeitraum komfortabel, denn irgendwann wird ein Gefängnis draus.

Also lieber nicht krank werden. Überhaupt habe ich mir angewöhnt, negative Gedanken im Kopf so schnell wie möglich „weg zu klicken“. An etwas denken bedeutet, seine Energie dorthin zu lenken, und ich will auf keinen Fall selber zu unschönen Situationen beitragen. Ich konzentriere dann meine Gedanken auf etwas Angenehmes. Inzwischen weiß man ja, dass auch das Denken und Körperhaltung die Körperchemie beeinflussen. Da mixe ich mir lieber einen Cocktail, der meine Stimmung in Richtung Fröhlichkeit lenkt. Und was den Tod an oder mit Corona angeht: Meine Mutter hätte gesagt „An irgendetwas muss ich ja schließlich sterben“. Gut, sie ist 95 Jahre alt geworden, aber irgendwie spüre ich auch mit 65 Jahren schon etwas von dieser Gelassenheit. Natürlich würde ich gerne noch Einiges unternehmen bzw. kennenlernen. Aber ich betrachte alles, was noch kommt, als „Bonus Paket“.

Ich denke, ich habe die Welt schon etwas besser gemacht, als ich sie vorgefunden habe. Ich durfte viel sehen, und im Moment bleiben keine elementaren Ziele offen. Wenn ich also gehen müsste, wäre ich zwar sehr traurig, aber ich bin auch neugierig auf die Welt nach dem Tod. Ich stelle mir vor, dass meine Mutter jetzt in einer Art Kurheim wohnt und einen wunderschönen Blumengarten vor der Tür hat. Außerdem darf sie dort weiterhin für andere sorgen und sich fortbilden – und das alles mit großer Freude. Zugegeben, diese Bilder stammen nicht aus meiner Phantasie. Ich fand sie in einem Buch über eine verstorbene Nonne, die ihrer Freundin telepathisch ihre Existenz im Jenseits beschrieb. Mir ist egal, ob es das wirklich gibt oder nicht. Die Bilder machen mir ein gutes Gefühl. Mehr brauche ich nicht.

Corona führt uns drastisch vor Augen, dass Sterben zum Leben gehört. Allerdings bewirkt die mediale Panikmache nur, dass alle auf die Inzidenz- und Todeszahlen starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Ich wünsche mir, dass der Prozess des Sterbens und des Abschiednehmens wieder mehr Platz in unserer Gesellschaft bekommt. Das würde unserer Psyche guttun und wir würden unser Leben wieder mehr zu schätzen lernen. Vielleicht würden wir sogar begreifen, dass wir sorgsamer mit uns und unserer Umwelt umgehen müssen.