Oh no, jetzt kommt es also doch noch so richtig dicke. Oh, no war mein erster Gedanke. Ich habe mir auch schon meine neue Tintenpatrone zum Wechseln auf den Tisch gelegt… Ich gehe dieses Thema an, denn dieser Satz hat am meisten in mir ausgelöst. Ja, ich könnte tatsächlich an Corona sterben, das ist Fakt.
Ein guter Grund mehr mein Leben noch mehr wertzuschätzen. Ich freue mich jeden Tag neben meinem Lebenspartner aufzuwachen und wir sagen uns das fast täglich: „…schön, dass Du da bist…“. Ich hatte schon als Kind ganz große Angst vor dem Tod. Genauer gesagt, ist meine liebe Oma als ich drei Jahre alt war in meinem Bett an Herzversagen gestorben. Mit der Angst vor dem Tod kam ich also schon sehr früh in Berührung, auch wenn ich damals natürlich noch gar nicht wissen konnte, was sterben oder tot bedeutet. Ich merkte nur, meine Oma war nicht mehr da und sie kam auch nie mehr zurück… Im Laufe meines Lebens spürte ich zweimal Todesangst und zwar einmal als Jugendliche und das andere Mal 2014. Seitdem weiß ich es, das Leben kann jeden Tag vorbei sein.
Mich hat das verändert und zwar von Grund auf. Das Leben lässt sich nicht kontrollieren, nie. Eines Tages sagte mein Partner zu mir im Auto: „…du kannst so nicht weiter leben, versuche dem Leben zu vertrauen…“ Exakt diese Worte hat er benutzt, wohlwissend das mir Versuchen zumindest möglich sein wird. Ich weiß nicht wann und an was ich sterben werde. Zum Glück können wir Menschen das nicht wissen. Schon fast mein ganzes Leben, lebe ich mit der Angst und deshalb kann ich mich jetzt gut in Menschen hineinversetzen, die stark in dieser Zeit leiden. Ich leide auch und mit ihnen.
Wir Menschen sind wunderbare Geschöpfe und dank unserem Gehirn, welches wir nur zu einem Bruchteil benutzen, kommen wir auf tollkühne Ideen: im Auto durch die Gegend rasen, nur mit einem Seil gesichert von einer Brücke zu springen, mit Kopfsprung von einer Klippe ins Meer zu stürzen, mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug zu hüpfen oder einen 3.000 Meter hohen Berg zu besteigen. Nun kommt ein kleiner, fieser Virus daher und wir leiden plötzlich an Amnesie, denn alle anderen Krankheiten, die den Menschen jemals bedroht haben und immer noch bedrohen, sind plötzlich auf wundersame Weise vergessen. So als wären die Generationen und unsere Urahnen absolut unfähig gewesen als es um die Pest oder die Cholera ging. Corona lässt sich nicht einfach so schnell wegimpfen. Diese Möglichkeit besteht genauso, wie dass ich an Corona oder Herzversagen sterben könnte. Dadurch wird jedoch der einzelne Moment wertvoller.
Für mich ist der Alltag noch herausfordernder geworden als vor einem Jahr. Ich entscheide mich täglich dafür, mit allen Einschränkungen und so gut wie möglich zu leben. Es ist also genauso wie mit meiner Angst, die wie ich mittlerweile vermute, auch nie ganz verschwinden wird. Diese Angst hat eine gewisse Funktion, das können jedoch Menschen besser erklären, deren Fachgebiet dies ist. Ich werde nicht täglich darauf warten, dass ich krank werde, sondern mich darüber freuen, wie lange ich schon gesund bin. Und ich denke dabei natürlich auch an die Menschen, bei denen es nicht so ist.
Deshalb bin ich für einen Gedenktag für Covid 19-Opfer. Und es sollte für alles an dem wir Menschen sterben können Gedenktage geben. Damit wir nicht so schnell vergessen. Denn die Angst vor Aids, Rinderwahnsinn, der Vogelgrippe oder dem Lassa-Fieber ist auch noch nicht so lange her. Am Rande bemerkt, meine Patrone hat durchgehalten. Und das ist mein Schluss, ich und alle anderen halten durch, genauso wie es die Menschheit immer getan hat.