Liebe B.!
Es ist grade eine absurde Zeit. So absurd, dass meine Phantasie nicht ausgereicht hätte, mir das alles vorzustellen. Als vor 1 Jahr die Meldungen der Pandemie kamen, hätte ich nicht gedacht, dass wir ein Jahr und länger damit beschäftigt sein könnten.
Wie sollte ich mir das auch vorstellen können? Noch nie in meinem fast 6 Jahrzehnte dauernden Leben gab es irgendwas Vergleichbares. Die Kriege waren immer weit weg. Größere Krisen, wie in den 70er Jahren die Ölkrise, erlebte ich als Kind. Ich lag im Krankenhaus und meine Eltern durften mich sonntags nicht besuchen, weil Fahrverbot war. Das war meine persönliche Kindheitskrise, die montags mit einem Berg Spielzeug geglättet wurde. Aber sonst? So etwas Globales und mit persönlichen Einschränkungen Verbundenes und dann für so eine lange Zeit…..jenseits jeder Vorstellungskraft.
Ich glaube, das Schlimmste daran ist, dass es keine wirkliche Perspektive in absehbarer Zeit gibt. Was ist morgen, nächste Woche, nächsten Monat oder in einem Jahr, wenn Du, meine Gute, diesen Brief ließt? Leben wir dann überhaupt noch und wenn, wie?
Ja, es zeigt sich das wahre Leben, nichts ist planbar.
Als ich mit dem Vater meines ersten Sohnes in unser Minihäuschen aufs Land zog, war mir klar, dort mit ihm alt zu werden…..2 Jahre später war der Traum vorbei.
Nach weiteren 2, nein 3 Jahren ein ähnlicher Traum mit dem Vater meines zweiten Sohnes. Auch dieser Traum endete in Ernüchterung nach nicht allzu langer Zeit.
Krisen, aber immer die Hoffnung, dass ein Traum sich doch irgendwann erfüllt.
Meine Söhne sind erwachsen, ich lerne nochmal einen Mann kennen, viel Liebe lässt uns nach 2 Jahren heiraten. Viele Träume haben wir und wollen mit dem Bulli losfahren, Traumziele gemeinsam entdecken. Weitere 2 Jahre und 9 Tage nach unserer Hochzeit ist er tot. Irreal, oft heute noch nach fast 5 Jahren ist es irreal. Gab es die 4 gemeinsamen Jahre? Gab es die Träume?
Ja, es gab sie. So wie es auch den Traum gibt, dass dieser jetzige, irreale Zustand in einem Jahr, wenn du das ließt, einer neuen Realität gewichen ist. Wie wird es dann aussehen, mein Leben, das Leben aller Lebewesen auf diesem wundervollen Planeten Erde? Vielleicht ist dann alles viel besser, die Umwelt atmet doch jetzt schon auf! Vielleicht geht die Pandemie solange, bis alles, unsere Erde und alle Lebewesen geheilt sind und wir diesen Planeten, dieses Paradies, endlich wertschätzen und achtsam damit umgehen.
Sicher sollen wir etwas verstehen, was wir noch nicht verstanden haben. Ja, das ist mein Traum und meine Hoffnung. Das wir alle lernen. Und bis dieser Traum sich erfüllt, versuche ich zu lernen, was ich zu lernen habe. Ob es klappt? Ich hoffe und übe. Ja, das ist eine lohnenswerte Perspektive.
Ich grüße dich, meine Gute, und freue mich auf deine Antwort, wenn Du dieses in 1 Jahr gelesen hast.