Maria, Rentnerin, 71 Jahre, Süddeutschland

Mit Corona leben bedeutet Veränderung

Es ist ein vielfältiges, vielschichtiges „Betroffensein“, das mein Leben beeinflusst. Schon nach dem Erwachen am Morgen, merke ich, es ist ein anderes „Sein“. Die Unbefangenheit, die Vorfreude auf den Tag, erlebe ich mit angezogener Handbremse. Keine frohes gespannt sein auf einen abwechslungsreichen Tag mit vielen neuen Eindrücken und Begegnungen. Kein Sport in vertrauter Runde. „Bewegung und Spaß“, macht Pause. Und dies schon ein ganzes Jahr! Kein Kinobesuch heute, kein Konzert.

Ich gehe Einkaufen, am liebsten regionale Produkte. Im Lebensmittelladen bekannte Gesichter, trotz Maske. Aber dennoch kein Erkennen, kein Blickkontakt, alle haben es eilig. Bitte Abstand halten, steht auf der Stirn geschrieben.

Ich lebe mit meinem Mann auf dem Land. Wir haben viel Grün um uns herum. Manchmal denke ich, im Gegensatz zu vielen anderen, lebe ich, auch in diesen Zeiten, wie im Paradies. Natur und Heimat bleiben Glück. Auch haben wir keine finanziellen Einbußen, wie viele der jungen, berufstätigen Menschen. Wir sind im Rentenalter.

Nur manchmal beschleicht mich ein Gefühl, als würde mir Lebenszeit geraubt. Wieder ist ein Jahr, der noch verbleibenden Zeit, vergangen ohne viel erlebt zu haben. Wenig Kontakte zu Freundinnen und Freunden, keine Reisen, keine Theaterbesuche.

Bei der Hochzeit unseres Sohnes waren insgesamt nur 10 Gäste erlaubt. Feiern nur im engsten Familienkreis. Dennoch war es ein schönes und erfülltes Fest. Demnächst werde ich Oma. Wie werden wohl die Besuchskontakte sein? Welche Einschränkungen warten noch auf uns?

Ich will mich nicht beklagen. Jede Krise hat auch ihre Chance. Es gibt Tage, da empfinde ich die verordnete Entschleunigung als Geschenk – kein getrieben sein, keine geschäftige Vergesslichkeit. Keine Angst, etwas zu versäumen oder zu kurz zu kommen. Eine Zeit, die einfach ist, im Hier und Jetzt.

Ich schreibe Briefe, führe lange Telefonate, übe mich in kreativer Gelassenheit. Das Leben bietet so viele Fassetten. Ich möchte nicht zittern von einer Schreckensnachricht zur nächsten. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Auch wenn ich zur sogenannten Risikogruppe gehöre, möchte ich mein Leben positiv gestalten.

Ich freue mich auf das Frühjahr, mein Enkelkind und auf das unbeschwerte Lachen in den Umarmungen und im Miteinander.

Das Leben wird weitergehen und wir werden verändert aus der Situation hervorgehen. Leben bedeutet Veränderung. Vielleicht werde ich, wird die Gesellschaft lernen, verantwortungsbewusster mit Zeit und Ressourcen umzugehen. Für die Bewältigung der Jahrhundertaufgabe Klimaschutz müssen sich Alt und Jung verbinden. Wir, die Alten, müssen für Ideale kämpfen, deren Früchte wir selbst nicht mehr ernten werden.

Ich denke, lernen mit Corona konstruktiv zu leben, ist nur ein kleiner Vorgeschmack dessen, was an Aufgaben auf unsere Gesellschaft noch zukommen wird. In meinem Alter bleibt keine Zeit für Pessimismus oder Aufschub. Ich bin überzeugt, mit kreativem Einsatz, Klarheit und Entschiedenheit werden wir die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen.