Es gab eine Zeit, da wünschte ich mir fast, ich würde auch mal Corona bekommen. Diese Momente gab es tatsächlich, und zwar zu Beginn der Pandemie. Getragen wurde mein Verlangen von der Vorstellung, dass ich danach frei sei. Dass ich nach überwundener Krankheit unbeschwert unterwegs sein könnte. Dank meiner Immunisierung. Dass ich helfen könnte. Ich könnte z.B. einsame Menschen besuchen und aufheitern. Dass Corona einsam macht, hatte ich schnell begriffen. Wie einsam noch nicht. Dafür dauerte es noch nicht lang genug. Ich zog sogar in Erwägung, mich willentlich bei jemandem anzustecken, der Corona hat. Allerdings kannte ich niemanden.
Ich hörte Podcasts, las im Internet, versuchte mich schlau zu machen zum Thema Covid 19. Aber je weiter die Zeit voranschritt, desto widersprüchlicher, differenzierter und unübersichtlicher wurde die Lage. Hatte ich mir anfangs noch keinerlei Berührungsangst mit der Krankheit vorgegaukelt, so verwandelte sie sich peu à peu in eine unbekannte Krake, die, hätte sie mich einmal in ihrem Fangarmen, mir möglicherweise ihren Giftstoff in die hintersten Tiefen meiner Zellen spritzen würde. Plötzlich war die Rede von Nebenwirkungen, Folgeschäden, Langzeitbeeinträchtigungen. Leichte oder nur mittelschwere Verläufe mit dennoch langwierigen Folgen. Schwächegefühle standen ganz oben auf der Liste. Wollte ich all das riskieren? Nein, entschied ich, das alles wünschte ich mir keinesfalls! Ich ließ mich von meiner Ärztin beraten, stärkte mein Immunsystem mit D3 und K2, mit hohen Vitamin C-Dosen, mit Magnesium und Zink. Das fühlte sich gut an. Aber je mehr ich mich informierte, desto unsicherer wurde ich. War mein preiswertes Vitamin C das Richtige? War es für den Körper schnell genug verfügbar? War die Dosierung vielleicht sogar noch zu niedrig? Gab es weiteres, was ich tun konnte?
Schleichend stellte sich eine mentale Müdigkeit ein. Der Rückzug in mein Schneckenhaus hatte mich müde, aber auch mürbe gemacht. Und einsam. Ich wünschte mir wieder Kontakte. Behutsam suchte ich sie. Immer im Hinterkopf: Mein Immunsystem ist stark, ich werde mich schon nicht anstecken. Ich ging Risiken ein, traf mich mit Freundinnen zum Spaziergang. Einmal war ich noch nicht ganz parat, schlürfte noch einen Kaffee und bat meine Freundin Luise auf einen Sprung in meine Küche. Daraus wurde ein gemütlicher Plausch bei Keks und Kakao, denn die Witterung lockte uns nicht wirklich nach draußen. Es war der Dienstag vor Silvester. Zwei Tage später bekam ich eine WhatsApp von Luise. „Ich habe Corona. Habe eben das Testergebnis bekommen. Wollte dir nur Bescheid geben. Pass auf dich auf. Bleib gesund.“ Hui. Damit waren meine Silvesterpläne zunichte gemacht. Den gemeinsamen Schreibabend mit meiner Freundin Tine verlagerten wir von meinem Wohnzimmer in den Zoom-Raum. Die Enttäuschung war groß. Aber ein Risiko wollten wir unter diesen Vorzeichen nicht eingehen. Ich begab mich also in Quarantäne, ging lediglich für die Hunderunde vor die Tür. Meine Töchter kauften für mich ein. In Wirklichkeit war mir diese zurückgezogene Lebensweise ja schon vertraut. Es fiel mir nicht schwer, denn ich hatte eigentlich Gefallen daran gefunden. Wir hatten Glück: Ich selber wurde nicht krank und Luise hatte einen akzeptablen Verlauf.
Inzwischen fühle ich mich wie in einer kleinen Jolle auf hoher See. Mal schlagen die Wellen höher. Dann habe ich habe Angst zu kentern. Die Gischt peitscht mir ins Gesicht. Ich verliere vollkommen die Übersicht, fühle mich so allein und hilflos dem Schicksal ausgeliefert. Kaum hat sich das Meer beruhigt, genieße ich die Windstille, die Sonne, die innere und äußere Weite. Es ist ein Auf und Ab. Es zehrt an mir, an meinen mentalen Kräften. Am Horizont ist Land in Sicht: Die Impfung. Aber auch hier beginne ich wieder mit meinen sisyphosartigen Bemühungen, mich umfassend zu informieren. Soll ich, muss ich, will ich mich überhaupt impfen lassen? Ich schwanke, sitze also immer noch in der kleinen Jolle. Ich wünsche mir, endlich anlanden zu können. Das Auf und Ab, die Angst hinter mir zu lassen und endlich wieder auf festem Boden zu stehen. In einer Landschaft ganz ohne Coronahügel und -täler.