Beatrice, 62 Jahre, grundsätzlich frohgeMUT, lebt mit Kater Filou in Wien, Coachin & Trainerin, leidenschaftliche Collagen Gestalterin und Schreiberin

Verständnis

Gestern im Supermarkt.

Ich sehe, dass mich der junge Mann an der Kasse etwas fragt, aber ich verstehe ihn nicht. Ich frage nach und sage zu ihm, dass ich offensichtlich mit der Maske schlechter höre. Er lächelt freundlich, wiederholt seine Frage und meint, ja, das könne schon sein.

Ich verlasse den Supermarkt und reiße mir als erstes sofort die Maske runter. Atme tief durch und spüre sofort eine ganz andere Präsenz als vorher. Es kommt mir vor, als ob sich alle meine Sinne erst wieder ein-tunen müssen – die Antennen wieder neu ausfahren.

Weil es gerade geschneit hat und ich so gerne bei Schneefall der Stille nach lausche, mache ich noch einen Spaziergang und gehe eine kleine Runde durch den Park. Ich höre das Knirschen und Knarzen des Schnees unter meinen Schuhen, rieche die frische Schneeluft und spüre das Prickeln der Kälte auf meinem Gesicht. Es ist mir, als würden die Sinne – meine Sinne – laut aufjubeln – fast wie in einen Rausch der Eindrücke verfallen. Ich sehe, ich höre, ich fühle, ich rieche und ich schmecke: ich lasse eine kleine Schneeflocke auf meiner Zunge zergehen und frage mich, wie schmeckt Schnee?

Kann es sein, dass sich die Sinne aus dem Mangel – aus den Beschränkungen – heraus, die durch das Tragen der Maske entstehen, wie in einem Befreiungsschlag intensivieren, die plötzliche Freiheit genießen und quasi in einen Freudentaumel verfallen?

Ich spüre gerade in Zeiten wie diesen, dass meine Sehnsucht groß ist und es mich nach draußen zieht, wo ich mit meinen Sinnen flanieren, mich treiben lassen kann, kein bestimmtes Ziel habe, sondern meine Füße den Weg erspüren lasse.

Und sogar zuhause nehme ich mein Umfeld viel achtsamer wahr. Ich folge mit den Augen den Licht- und Schattenspielereien an der Wand, lausche den Geräuschen des Hauses, wenn der stürmische Wind an allem rüttelt, tauche ganz tief ein in die berührende, melancholische Stimmung der blauen Stunde, lasse mich fallen und spüre mich mit jeder Faser meines Körpers. Ich spüre alles viel intensiver als früher. Die wohlige Wärme des Bettes bevor ich in der Früh aufstehe, das weiche Fell meines Katers, in das meine Hände zärtlich eintauchen, den warmen Wasserstrahl unter der Dusche auf meiner Haut, die heiße Tasse Tee in meinen Händen – das Augenblicksglück.

Meine Sinne suchen sich ihre Spielplätze und finden sie im Gestalten von Collagen – im Eintauchen in eine schier unendliche Welt der Bilder, wo alles möglich ist und es keine Grenzen zu geben scheint. Das ist lustvoll und befreiend, lässt mich die Welt um mich herum vergessen und alles Beschwerende loslassen. Ich genieße diesen freudvollen Tanz mit der Künstlerin in mir und lasse mich dankbar von den Musen küssen.

Sogar das Online Fitnesstraining wird zum lustvollen Tanz mit meinem Körper. Ich nehme ganz intensiv wahr, wo er schon weicher – nachgiebiger – wird und wo noch Verhärtung – Anspannung – spürbar ist. Ich genieße die Dehnung, das Nachspüren, wo noch Raum ist, gebe mich hin und lerne meinen Körper ganz neu kennen.

Braucht es einen Mangel – Beschränkungen – um wieder intensiver zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu riechen und zu schmecken? Und gilt das dann auch für die zwischenmenschliche Kommunikation?

Vor ein paar Tagen habe ich mit einer Freundin eine kleine Wanderung gemacht. Nach dem Aufstieg auf den Berg brauchten wir eine Pause und kehrten ein. Es gab einen kleinen Stand, wo Getränke ausgeschenkt wurden. Als ich mich anstellte, hörte ich einen Mann, der gerade zwei halbe Bier bestellte und es dann drei mal wiederholen musste bis es die Frau hinter der Plexiglaswand endlich verstand.

Daran erinnerte ich mich heute im Supermarkt, als ich Gesagtes nicht hörte – nicht verstand. Wieviel Zeit verbringen wir wohl derzeit alle mit Nachfragen, weil wir nicht verstanden haben. Und vielleicht antworten wir ja auch manchmal einfach auf gut Glück, ohne wirklich genau gehört zu haben, was gerade gesagt oder gefragt wurde.

Wie wird es also sein, wenn das alles vorbei ist?
Werden wir uns dann alle besser verstehen?
Bricht dann das Zeitalter des gegenseitigen Verständnisses an?

Hoffen darf ich ja.