Alma, 60 Jahre alt, Lehrerin für Geschichte und Englisch. Ich wohne in einer norddeutschen Kleinstadt und habe zwei erwachsene Töchter.

Corona und der Rückzug in meinen häuslichen Bereich

Corona betrifft mein Leben, und zwar z.B. der Rückzug in meinen häuslichen Bereich. Ich arbeite von zuhause und verlasse mein Zuhause nur zum Einkaufen oder zum Spazierengehen, allein oder mit einer weiteren Person. Früher vor Corona, vor dem aktuellen Lockdown, verabredete ich mich mit Freunden, ging ins Kino, ins Theater, in die Stadt, zum Bummeln, durch Geschäfte gucken, einen Cappuccino trinken. Ich war in Bewegung. Ich war beschäftigt und abgelenkt. Umgeben von Menschen, die ich persönlich kannte oder auch nicht. Heute weiß ich, dass diese Begegnungen für mich Tankstellen waren, an denen ich den Kraftstoff, der mich antreibt, auffüllte.

Heute im Lockdown bin ich weniger hektisch, verrichte alles, was ich tue, langsamer, vielleicht gelassener, habe Zeit zum Ausruhen und Dinge zu tun, für die ich vorher immer zu wenig Zeit hatte. Meditation, Yoga, Körperübungen aller Art Rudelsingen, online täglich spazieren gehen, morgens in Ruhe aufstehen und frühstücken.

Wie gut das klingt und weshalb empfinde ich diese Zeit dennoch nicht als so positiv wie das klingt?
Es ist der Treibstoff, der fehlt. Der Treibstoff, das sind die Begegnungen mit Menschen, und zwar die realen, die wirklichen und weniger die virtuellen. Ich merke, wie eine Lethargie mich ergreift, die ich, die ich doch immer so aktiv und unternehmungslustig war/ bin/ nicht mehr sein darf.

Mir fehlt der Austausch. Und dennoch rufe ich nicht an. Denn der Anruf macht mir die Entfernung zwischen uns erst richtig deutlich. Ich kann dich nicht berühren, in den Arm nehmen. Ich sehe deine Blicke und Gesten nicht und fühle mich verlassen, zurückgelassen. Wir alle leben in unseren Schlössern, umgeben von einem Wassergraben mit einer Brücke, um diesen zu überqueren.
Aber die Brücken sind hochgezogen. Was bleibt, ist der Blick auf die Fassade. Wie geht es dir in deinem Schloss? Hinter verschlossenen Türen? Kaum jemand stellt diese Frage und wird sie gestellt, dann verbleiben die Antworten auf der üblichen „Über Corona Jammer Ebene“.

Würdest du mir, würde ich dir von meinem Kummer erzählen, von meiner Trauer? Dann wüssten wir beide nicht, wie wir damit umgehen sollten. Also bleiben wir doch lieber bei dem „Das Ist Jammern auf hohem Niveau“. Ja, es ist Jammern auf hohem Niveau, aber dennoch möchte ich ernst genommen werden mit meinem Empfinden.

Es ist eine neue Lebenserfahrung, mich zu erleben, wenn die Ablenkungen wegfallen. Mit mir alleine zurecht kommen. Jeder Tag verläuft mehr oder weniger wie der vorherige. Und so langsam reihen sie sich aneinander wie Perlen auf einer Schnur. Ich verliere das Gefühl dafür, wie es vorher war und kann mir schon kaum noch vorstellen, dass es wieder einmal so sein wird –  wie sein wird? … Mit vielen Menschen in einem engen Raum, stickig und laut vom Reden und Lachen. Eine Vorstellung, die im Moment Angst und Abwehr hervorruft und doch früher ein Gefühl von Zugehörigkeit gegeben hat.

Das englische Wort „lost“ trifft mein Empfinden recht gut. „Lost“ auf der Suche nach einem Weg, der im Nebel liegt, zu einem Ziel, das ich nur noch verschwommen vor Augen habe. Ich weiß, es gibt dieses Ziel. Aber gibt es einen Weg dahin? Oder liegt dieses Ziel zu sehr in der Vergangenheit und der Weg, der in die Zukunft führt entfernt mich mehr und mehr von diesem Ziel, treibt mich auf ein mir fremdes Ziel zu.

Dieser Gedanke beunruhigt.