Welche Stelle in meinem Körper meldet sich, wenn ich das behaupte?
„Die erste Stelle in meinem Körper, die sich meldet, wenn ich diesen Satz sage, sind meine Augen. Ich spüre wie ich heute wenig Kraft habe zu schreiben, wie ungeweinte Tränen darauf warten geweint zu werden. Und nun lasse ich den Tränen freien Lauf. Ein Jahr Lockdown-Erfahrung. Kein Jubiläum zu Feiern, nein eines zum Weinen.
Ja, es ist wirklich traurig, dass ich und meine Mitmenschen auf der ganzen Welt mit diesem Virus zurechtkommen müssen. Ich bin traurig, einfach traurig, dass uns dieser Virus als Gesellschaft so verändert, beherrscht, unser Gewohnheiten über den Haufen wirft. Kunst und Kultur im Moment in den Stillstand zwingt. Nicht in der Produktion, aber in der Präsentation. Theater lebt vom Publikum, bildende Kunst von Galerien und Ausstellungen, den geselligen Vernissagen, Autoren und Autorinnen von Lesungen.
Ich ändere mich grundsätzlich gerne, aber nicht wenn es mir von außen aufgezwungen wird. Zwangsmaßnahmen, ein Jahr schon. Was mich besonders traurig macht, sind Gedanken in die Zukunft. Wie werden unsere jungen Menschen alle diese wirtschaftlichen und psychosozialen Auswirkungen verkraften? Täglich hole ich mich rasch zurück, wenn diese dunklen Gedanken auftauchen, um wieder im Hier und Jetzt das zu tun was mir und meinem Umfeld gut tut, mich nicht hinunterzieht.
Ich erinnere mich täglich weder zurück noch nach vorne zu denken. Es mit den alten geistigen Größen zu halten, dass ich weder die Vergangenheit noch die Zukunft leben kann. Und ich finde Halt im Jetzt in mir wenn ich achtsam bin. Wenn gar nichts mehr hilft, meditiere ich eine halbe Stunde bis Stunde, dann darf sein, was in mir ist, betrauert, geordnet, geklärt werden will. Innenschau. Heute nennt sich das Focusing. Der Weg nach innen, den Körper, sich und seine Gefühle wahrnehmen.
Und dann verändere ich meinen Fokus. Es gibt ja auch angenehmer Aspekte, die mir im Lockdown gefallen. Ich habe erkannt, wer mich wirklich mag, wer weiter zu mir Kontakt hält, das Gespräch mit mir sucht, da ist für mich. Und ich habe viel Zeit für mich, weil ich im Moment nicht berufstätig bin, frei arbeite. Ich mag es dass die Menschen Abstand halten, nicht drängeln.
Ein weiterer positiver Aspekt: ich lerne neue technische Errungenschaften wie Zoom, jitsi und andere Möglichkeiten kennen. Tanze seit einem Jahr online Nia. So habe ich Bewegung mit Menschen im persönlichen Kontakt und Spaß, trotz Lockdown. Und ich besuche Yogakurse Online einen mit ehemaliger Arbeitskollegin und einer Freundin aus einem anderen Bundesland. Schön sie dann wenigstens online zu erleben.
Dennoch beherrscht der Virus meinen, unseren Alltag. Seit kurzem in mehreren Mutationen. „Ein Virus ist nicht nur in medizinischer, sondern auch in sprachlicher Hinsicht ein Verwandlungskünstler“, sagt der Duden. Sowohl „das“ als auch „der“ sind möglich. Oft schaffe ich es den ganzen Tag nicht an ihn zu denken, meine Vorhaben umzusetzen und diese bleiben vom Virus teilweise unberührt. Vor allem beim Schreiben, wenn das Thema nicht Corona lautet.
Zur Zeit habe ich zu meiner Überraschung doch mehr dunkle Stunden, mehr als mir lieb ist. Und bisher kannte ich das nicht so intensiv, dass es mir nicht gut geht, Blockaden habe zu zeichnen oder zu dichten, als ob sich eine Milchglasscheibe über mein Leben gelegt hätte.
Ohne Corona habe ich mich einfach aufs Rad gesetzt bin in den Prater, auf die Donauinsel oder sonst wo planlos hingefahren bis ich wieder Kraft und Freude in mir fühlte. Dann auf ein Getränk in ein Lokal, ein kurzer Plausch mit einem fremden Menschen, einer Kellnerin, ein kurzer Austausch und ich fuhr belebt nach Hause. Oder ich bin zu einer Freundin gestrampelt.
Ich fahre jetzt auch Rad, aber dann gibt es nur Kaffee bei mir zu Hause. Mir fehlen diese kleinen kurzen Kontakte, das Zusammensein mit Menschen, auch wenn ich sie nicht kenne. Ich lerne gerne neue Menschen kennen. Öffne, wenn ich vertraue gerne mein Herz und höre dann auch meinem Vis-a-Vis gerne zu. Es ist so schön Lebensgeschichten zu lauschen, zu spüren, dass andere auch ähnliche Probleme und Hoffnungen wie ich haben. Oder ganz anders sind, diese Menschen sind dann eine besondere Bereicherung. Da höre ich etwas, was meinen Horizont erweitert, mich belebt, mir „Berge“ gibt. Oder ich schlendere durch meine Gegend, beobachte Menschen, besonders gerne Kinder am Spielplatz mit ihrer Lebendigkeit, ihrer Leichtigkeit, ihrem Lachen. Dort und von meinen Söhnen, jetzt meiner Enkeltochter wieder, habe ich das Präsent-Sein gelernt. Das ganz im Moment sein. Wenn sie lachen, lachen sie, wenn sie weinen, weinen sie und fünf Minuten später ist alles wieder vergessen.
Und ich habe Zuhören am Telefon gelernt vor allem Menschen, die jetzt in meinem Umfeld alleine sind. Zum Beispiel meiner Canastapartnerin mit 84 Jahren. Sie lebt alleine vermisst persönliche Kontakte und ist Risikopatientin.
Dann setze ich auf Dalai Lamas Satz „Wenn du redest, wiederholst du das, was du kennst, aber wenn du lauscht, kannst du manches Neues lernen.“