…dann meldet sich ein Bereich in meinem Kopf hinter den Augäpfeln. Ich spüre eine gefüllte Wasserblase. Ein ganz leichter, sanfter Druck auf diese Blase, und schon wollen Tränen kommen. Vor allem bei einem leichten, sanften Druck. Ein leichter, sanfter Druck so wie gerade eben: eine bewusste Wahrnehmung, ein aufmerksames Hinspüren. Mehr braucht es nicht. Bei „mehr“ verschwindet diese Blase gleich wieder.
Aber bei einem leichten, sanften Nachfragen, da füllt sich diese Blase mit unendlich viel Traurigkeit. Eine Traurigkeit, die bis in den Brustkorb hinunterstrahlt und sich dort in Verzweiflung, Aussichtslosigkeit und Wut verwandelt. Und in Enge. Ich fühle mich gefangen, wie in einem engen Käfig. Gefangen in einer Situation, die ich nicht ändern kann. Die Gitterstäbe sind fest und starr. Ich kann mich nur ganz wenig vor und zurück bewegen. Der Käfig ist zu klein um mich umzudrehen, ich kann nur nach vorne schauen. Ich klammere mich an die Gitterstäbe und rüttle daran, obwohl ich weiß, dass sie halten. Sie halten, und ich muss das aushalten. Ich weiß, dass ich das aushalten muss, aber ich weiß nicht wie lange. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten muss und ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann. Mittlerweile fließen die Tränen… Ich bin gefangen und fühle mich gefangen. Obwohl, das stimmt jetzt nicht ganz. Ich weiß, dass ich mich viel mehr gefangen fühle als ich tatsächlich gefangen bin.
Ich fühle mich gefangen, wie in einem Käfig, weil mein Mann schon seit Monaten in unserem Wohnzimmer im homeoffice arbeitet und ich meinen Freiraum daheim nicht mehr spüren kann. Sein dauerndes Dasein fühlt sich an wie ein Korsett aus Gitterstäben. Da ist kein Kommen und Gehen mehr, kein Vor- und Zurückschwingen, keine Nähe und keine Distanz. Es scheint mir, als ob ich die fehlende räumliche Distanz mit emotionaler Distanz kompensieren würde. Ich spüre diese emotionale Distanz wie Gitterstäbe. Auch wenn ich daran rüttle, kann ich sie nicht bewegen. Sie sind hart und starr. Ich bin hart und starr.
Ich fühle mich auch gefangen, wie in einem Käfig, weil unsere jugendlichen Kinder im homeschooling daheim sind. Obwohl mich diese Tatsache an sich gar nicht so stört. Ich mag es eh, wenn die Kinder da sind. Eingeengt fühle ich mich durch sie nicht. Aber ich fühle mich gefangen in meinem Schmerz, wenn ich sehe, wie viel Zeit sie am Computer verbringen, wie viel Zeit am Handy. Wie viel passive Medienzeit sie konsumieren. Die Kids selber stört das gar nicht. Zumindest nicht bewusst. Sobald die Unterrichtszeit am Computer vorbei ist – oder schon während der Unterrichtszeit – tauchen sie ein in fremde Welten. In Film- und Spielewelten. Ich sehe das von außen und es tut mir so weh. Ich muss zuschauen wie ihr Potential schwindet. Wie ihre Lebensfreude, ihre Motivation, ihre Abenteuerlust, ihr Bewegungsdrang schwindet. Das tut so weh. Und meine Versuche, sie „herauszuziehen“ aus diesem Mediensog, fühlen sich an wie Schwimmen gegen einen mächtigen, kraftvollen Strom.
Und ich spür wieder meine Gitterstäbe aus Verzweiflung, Wut und Aussichtslosigkeit.