Gegenstand – Corona – MASKE. Das ist sofort da.
Ich will sie aber hier nicht haben! Omnipräsent ist sie allemal, ein Alltagsding, dem ich nicht ein besonderes Gewicht geben möchte. Husch, weg mit dir!
Nun gut, lenke ich ein, am Rande bist du dennoch dabei, denn du, Maske, führst zu dem, was mit jedem Tag wichtiger geworden ist. Kein Ding! Ich muss das Thema erweitern. Ein Körperteil, ein Organ, einer meiner Sinne: d i e A u g e n .
Sicher, auch sie im Zusammenspiel mit den anderen Sinnen. Aber erst einmal sie.
Die Augen seien das Fenster zur Welt, heißt es zum einen. Die Augen sind die Fenster zur Seele, sagt die Volksweisheit.
Die möglichen Viren, die am Menschen und in der Luft lauern können und mich als Wirt (Frau Wirtin) finden möchten, sind mit dem bloßen Auge nicht wahrnehmbar. Aber die Menschen, die Räume, die sie mit sich bringen könnten, schon!
Ich weiß es nicht mehr: Haben die Augen anfangs das Gegenüber, die Situation, die Menge an Mensch, ein Marktplatz abgetastet und versucht, dahinter zu kommen: Ansteckend? Gefährlich? Brauchte es eine Weile, bis ich den Menschen wieder als solchen wahrnehmen konnte und nicht als möglichen Virenaussender?
Der Mensch. Ich erblicke ihn von weitem, sehe ihn kommen, sehe sein Bild: Und mein Gehirn versieht ihn mit Schildchen. Vertraut – unbekannt – groß – klein – jung – alt – gebrechlich – munter.
Der Mensch kommt näher. Ah, jetzt weiß ich, dass es eine Frau ist. Oder ein Mann. Oder eins der Zwischengeschlechter, für die wir noch keine freundlichen oder mindestens neutralen Worte gefunden haben. Nur wissenschaftliche. Und überhaupt, ist mir diese Zuordnung nicht wichtig. Wichtig ist: Freund oder Feind? Wohlfühlen in der Nähe, miteinander sprechen mögen?
Für mein Abtasten brauche ich das Gesicht, die Stimme. Mimik. Gestik.
Nun wird meine Wahrnehmung reduziert und den Augen kommt das primäre Beobachten zu. Denn mehr als die Hälfte des Gesichts ist verdeckt. Mimik? Ich übe mich ein, meine Augen, mein Gehirn und ich (ja, natürlich, auch das Gehör), einen Menschen zu lesen aus dem Stück Mensch, das ungefähr an der Nasenwurzel beginnt.
Seine Augen sind groß geöffnet. Ist da Angst? Ist es Neugier? Die Fältchen im Winkel, die mir zeigen können, ob jemand strahlt. Sich freut. Vielleicht erkennt er jetzt gerade mich, die ebenso schutzvermummt nur Augen und Stirn, Haaransatz, vielleicht mehr vom Haar preisgibt.
Meine Wahrnehmung wird feiner, das Zusammenspiel der Augen mit den Ohren und dem Neuronenfeuerwerk des Hirns wird genauer. Eine Stirnfalte. Eine hochgezogene Augenbraue. Es gelingt mit der Erfahrung, mehr zu lesen aus dem Puzzleteil, zu dem das Gesicht des Gegenübers für mich geworden ist.
Ich kann Freundlichkeit spüren. Ablehnung. Ärger. Manchmal auch gar nichts. Nicht Fisch und nicht Fleisch, als sei ich blind. Unsicherheit.
Was für ein Glück, sie geht vorüber, die Nichtsfrau mit dem Markteinkauf. Vor mir geht sie einen Schritt zur Seite, ich weiche ebenfalls aus.
Da ich dieser Tage viel Zeit habe, ich mit Ruhe beobachten.
Wenn unsere Zusammenarbeit, meine wichtigen Augen und Ich, immer treffender wird: ob ich wohl auf der weißen oder bunten Maske das Lächeln oder den Ärger abgebildet sehe? Diese beiden bedeutenden Fenster, die mir die Welt öffnen, komplettieren sie vielleicht irgendwann mit einem schnellen Blick das ganze Gesicht?
Und auch ich, bin ich vielleicht, Versteck hin oder her, für jemanden ganz wahrnehmbar?
Augen öffnen hat eine tiefere Bedeutung gewonnen. Und sie am Abend zu schließen, sie in die Erholung zu schicken nach den großen Anstrengungen des Tages.
Auf einen schönen Traum hoffen. Auf eine Zukunft, in der wir uns wieder frei zulächeln.