Wie es die Übung verlangt, sage ich mir: „Trotz Corona fühle ich mich rundum wohl!“ und spüre in meinen Körper. Es sind gleich drei Körperstellen, die sich auf diesen Satz melden! Da ist ein Druck unter der Schädeldecke, in der Kehle will ein Schrei hochkommen, und meine Hände trommeln auf den Oberschenkeln.
Danke, lieber Körper, ich weiß es inzwischen sehr zu schätzen, wie schnell du dich meldest. Aber was ist los, dass du mir vorkommst wie eine Schulklasse, in der die Finger nach oben schnellen und jeder drankommen will. Ich sehe mich in der Grundschule, sie hieß damals noch Volksschule. Oft bin ich vor Eifer fast geborsten und hätte auf fast alle Fragen die Antwort gewusst. Aber wie oft habe ich nicht aufgezeigt, weil die Lehrerin freundlich gesagt hatte „Ich frage erst mal die anderen“. Die anderen, das waren zu einem beträchtlichen Teil Kinder mit Lernschwierigkeiten, die aus welchen Gründen auch immer versetzt worden waren. Ich wollte natürlich meine Wissensfreude kundtun, aber ich wollte auch Rücksicht nehmen. Also habe ich mich gedrosselt. Dies hat mich für mein ganzes Leben geprägt.
Es ist ja nicht verkehrt, wenn ich darauf achte, dass alle im Raum ihren Platz bekommen. Aber leider hat es auch dazu geführt, dass ich lange mein „Licht unter den Scheffel gestellt“ habe. Dies macht mich hier und heute noch traurig, obwohl ich hier und heute auch sagen kann „Mein Licht strahlt hell und zuverlässig, und wenn ich das will, auch auf dem Scheffel“. Jetzt stellt sich mir die Frage: welches Licht will ich denn in Zukunft auf den Scheffel stellen?
In meiner letzten Therapiestunde habe ich vor einiger Zeit zu meiner Therapeutin gesagt: „Ich will berühmt werden. Vielleicht wie Grandma Moses, deren malerisches Talent bekannt wurde, als sie 90 Jahre alt war.“ Diese Vorstellung lässt mich immer wieder schmunzeln, auch wenn ich im malerischen und plastischen Gestalten nicht meine Zukunft sehe.
Aber zurück zur Corona. Was hat Corona mit meinem individuellen Licht zu tun? Klar, Corona stülpt einen Deckel auf das Alltagsleben. Aber ist es das, was ich als Druck unter der Schädeldecke empfinde? Oder sind es die fehlenden Umarmungen, der Verzicht auf Reisen oder auf den Museumsbesuch? Andererseits bietet Korona aber auch den Raum, all den Gedanken, die in meinem Gehirn auf Warteposition schlummern, Ausdruck zu verschaffen! Mich im Schreiben auszuprobieren – ohne Zweckbindung. Im Rahmen des Tagebuch-Schreibkurses übe ich, meinen Alltag in verschiedenen Formaten darzustellen. Der Corona-Schreibkurs führt dazu, dass ich in mein inneres Erleben blicke und Befindlichkeiten wahrnehme, die ich sonst nicht in dieser Klarheit gesehen hätte.
Welchen Weg wird mein Schreiben nehmen? Ich bin mir sicher, ich werde es weiter zur Selbsterkundung einsetzen und ich werde mit den Schreib-Aufgaben spielen, z.B. weiter „Schneebälle“ werfen und „Drabbels“ schreiben. Und ich werde meine Entwürfe mit anderen Schreibmenschen teilen. Das hat eine ganz besondere Qualität.
Mit Knopfdruck, heißer Kehle und klopfenden Händen hatte ich meinen Text begonnen. Wenn ich in Zukunft in der Schreibgruppe „aufzeige“, mich „melde“, um meinen Text zu teilen, wird die Traurigkeit in meiner Kehle schmelzen und der Druck unter meiner Schädeldecke entweichen.
Schreiben als Selbstheilungsprozess: Ich glaube, das ist mein Weg.