…mein rechter Oberarm, es ist ein leiser Schmerz, ich spüre ihn vor allem, wenn ich den Arm ruhig halte. Jeden Morgen beim Aufstehen muss ich darauf achten, ihn nicht zu sehr zu belasten. Sobald ich in Bewegung bin, vergesse ich darauf, aber jetzt, wenn ich ruhig sitze und in meinen Körper hineinhöre, dann ist der Schmerz wieder da, er strahlt in meinen Körper aus.
Ich weiß noch ganz genau, wo ich den Schmerz zum ersten Mal gespürt habe: der erste Morgen in Havanna, wir machen uns bereit für das Treffen mit den Vertretern der österreichisch-kubanischen Gesellschaft, wir sitzen auf der Terrasse unseres Hotels, unterhalten uns, lachen, warten gespannt, was uns an diesem Tag erwarten wird.
Es ist ein sonniger, warmer Morgen, ich trage ein ärmelloses T-Shirt – aber plötzlich kommt mir in den Sinn, dass in diesen tropischen Ländern in den Innenräumen die Klimaanlagen oft ein eisiges Klima schaffen – ich sollte vielleicht doch eine dünne Jacke mitnehmen.
Ich will noch rasch aufs Zimmer, eine Jacke holen – zwischen Terrasse und Hotellobby ist ein ganz kleiner Absatz, höchstens ein bis zwei Centimeter, aber es reicht, ich bleibe mit meinen Sandalen daran hängen und falle der Länge nach auf meinen rechten Oberarm; sofort ist die ganze Gruppe um mich versammelt, man hilft mir auf, ich versuche alle Glieder zu bewegen, alles okay, nichts gebrochen, nur der Oberarm schmerzt.
Mein Mann macht aus einem Schal eine Armbinde, damit ich den Arm ruhigstellen kann – nach ein paar Tagen brauche ich auch das nicht mehr. Nur der leise Schmerz bleibt, er kommt immer wieder, auch nach vier Jahren. Eine Untersuchung nach der Rückkehr bringt kein Ergebnis, es ist alles in Ordnung.
Als ich jetzt von Barbara aufgefordert wurde, in meinen Körper hineinzuspüren, da war er sofort wieder da, der leise Schmerz und nun versuche ich, ihm nachzuspüren – was bedeutet er, was will er mir sagen. Ist er eine kleine, aber beständige Ermahnung, dass ich immerhin schon 68 Jahre alt bin, dass ich meinem Körper mehr Aufmerksamkeit schenken soll, dass ich dankbar sein muss, dass er mir bis heute gute Dienste geleistet hat, dass er mich nicht im Stich lässt – ein leiser Schmerz soll mich daran erinnern, dass das nicht selbstverständlich ist.
Ich weiß es zu schätzen, gesund zu sein. Vor fünf Jahren wurde ich im Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen, war eine Woche auf der Intensivstation: ein Loch in der Magenrückwand. Ich bin dankbar, in einem Land zu leben, das ein gutes Gesundheitssystem hat, gut ausgebildete Ärzte, engagiertes Pflegepersonal.
Genau ein Monat nach der Operation saß ich schon wieder im Flugzeug und habe eine Studienreise nach Straßburg geleitet. Von dieser Operation ist mir nur eine Narbe geblieben, doch sie schmerzt nicht.
Der leise Schmerz im Oberarm kommt fast täglich, meist verdränge ich ihn, ärgere mich über ihn, weil ich mit der rechten Hand keine schweren Sachen tragen kann, ohne das leise Ziehen zu spüren. Barbaras Worte haben mich nachdenklich gemacht. Der leise Schmerz ist eine Erinnerung daran, gut auf meinen Körper zu schauen; es ist nicht selbstverständlich, gesund zu sein, gerade jetzt, wo wird viel von unserer Freiheit der Gesundheit unterordnen. Ich darf dankbar sein, bisher von Corona verschont worden zu sein; vielleicht ist der leise Schmerz auch eine Erinnerung daran, dass es die Einschränkungen wert sind, wenn die Belohnung dafür die Gesundheit ist.