Die erste Körperstelle, die sich nach der Behauptung meldet bist du mein Rücken.
Die Rückseite meiner selbst. Genau die Stelle hinter dem Herzen und der Lunge. Ein kleiner Teil. Und doch spüre ich dich so doll. Du bist hart wie eine Betonwand. Wie eine kleine Kachel auf Beton eher. Du liegst da auf mir.
Fast bist du nicht ich. Was ja nicht stimmt. Du bist ich. Und während ich zu dir hinatme, spüre ich noch die Spitzen meiner Lungen, meinen Brustkorb, mein Herz: Ja, mein Oberkörper, du bist es im Ganzen, der gerade Aufmerksamkeit sucht. Oft sehnst du dich nach Drehungen und Bewegungen. Du magst geschmeidig bleiben, dich flexibel leben. Starrheit tut weh. Ich spüre es. Wenn etwas nicht stimmt, wirst du hart. Du erinnerst mich liebevoll und auch schmerzhaft daran, dass ich weich bleiben will und dass ich das Leben nehmen und nicht bestimmen will. Dass ich sanft bleibe im Herzen, mit Liebe und Mitgefühl meine Liebsten betrachte. Du erinnerst mich daran, dass ich mich wenden darf, in alle Himmelsrichtungen und Ebenen. Da ist mehr als nur nach vorn. Du erinnerst mich auch an meine Sehnsucht nach Wärme und Nähe, nach Berührung und Sanftheit, Mich spüren im Sein mit den Anderen.
Wo sind meine Grenzen? Wo fange ich an? Ich merke, wie ich mich wiegen will und mein Körper sich danach sehnt. Er und auch ich, wir wollen nicht stehenbleiben. Nicht starr werden. Wir lieben Pausen, Faulenzern, Stille und Entspannung. Und doch ist unsere größte Sehnsucht – Leben. Pures, reines Leben. Und das heißt Bewegung, Werden, Wachsen. Entwicklung und Entfaltung. Ich mag meine Schultern kreisen, mein Kopf drehen. Meine Hüften bewegen sich sanft. Wenn du weich wirst, beginnt alles in mir zu fließen. Die Energie scheint sich auszudehnen. Ich will weit werden.
Weit werden im Herzen. Weit werden in meinen Träumen. Weit werden im Bauch. Corona hat viel Enge erzeugt. Räumliche und auch emotionale. Alte Muster. Alte Glaubenssätze. Altes … wie hat es zu sein? Altes … das war es doch schon immer so. Ich will diese Enge sprengen. Ich habe schon so viele Fesseln gesprengt. Ich will tanzen, merke ich. Hier dehnt sich Zeit und Raum. Ich will Yoga machen. Hier dehnt sich mein Herz und mein Atem. Ich will küssen und streicheln. Hier dehnt sich meine Lust und meine Liebe. Und ich will der Freude folgen, denn sie dehnt mein Leben.
Gerade beobachte ich eine Elster vor meinem Fenster und erinnere mich an meine Sehnsucht nach Freiheit. Welche Gefängnisse baue ich mir selbst?
Wieviel Enge erzeugt Corona?
Manchmal ist alles wie immer und ich denke und fühle die Freiheit so sehr in mir. An anderen Tagen drehe ich durch. Kriege kaum Luft, weil alles so drückt. Wie wieviel bestimmen meine Gedanken und die Bewertung der momentanen Situation? Kann ich auch in der schlimmsten Enge Freiheit in mir spüren? Ich glaube, ja. Und gleichzeitig bin ich ja mehr. Aber es ist so gut zu wissen, dass ich so viel nur mit meinen Gedanken verändern kann.
Diese Erkenntnis hat mir wirklich so viel geholfen in diesem letzten Jahr. Ihr habt mein nach Außen so enges Leben im Inneren so sehr geweitet. Ich bin in die Vergangenheit gereist und in die Zukunft. Ich habe Farb- und Musikwelten entdeckt. Bin in Biographien mit verschiedenen Menschen durch ihre Leben gewandert und habe im Internet neue Sichtweisen erfahren. Leben war und ist bunt, auch wenn im Außen alles stillstand.
Du, mein Rücken hast zwischenzeitlich so geschmerzt, dass ich fast jeden Morgen Minuten brauchte, um klarzukommen.
Doch mit dem Weichwerden, dem Zulassen, dem mich Einlassen und mich und andere Sein lassen, ist es so viel besser geworden. Du bist treuer Botschafter, wenn etwas hakt. Genau wie all die anderen wunderbaren Stellen meines Körpers. Ihr berichtet zuverlässig und klar. Oft habe ich nicht zugehört, habe euch übergangen oder nicht geglaubt. Euch immer wieder vertröstet. Doch gerade in diesem Jahr ist mir so deutlich geworden, was für ein Geschenk ihr seid. In der letzten Woche habe ich mir wieder vorgenommen, dich öfter zu feiern. Täglich. Dir meine Dankbarkeit ausdrücken. Mit Worten und gutem Essen, Schlaf, Bewegung oder dem, was du dir wünscht. Ich weiß, dafür brauchen wir Kontakt. Momente, in denen wir in ein Zwiegespräch gehen und du mir sagen kannst, was gerade wichtig ist. Ich verspreche dir, dafür zu sorgen. Oh ja, ich weiß wirklich, was für ein Wunder du bist. Und das du nichts Selbstverständliches bist.
Und gleichzeitig kommt mir gerade der Gedanke, dass ich mich oft unzulänglich fühle, wenn etwas mit dir „nicht stimmt“. Also du muckerst. Für mich immer ein Zeichen, dass etwas aus der Balance geraten ist oder du auf etwas hinweise willst.
Doch was ist, wenn der Körper ganz versagt? Versagen, was für ein Wort. Ist es dann meine Schuld? Manchmal ja, manchmal nein. Fiese Gewohnheiten schwächen dich. Ich weiß. Unfälle und Pandemien kann ich nicht beeinflussen. Also liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen. Aber ich weiß ja jetzt, dass in mir ein weiter Raum ist, falls es dir mal schlecht geht. Ich weiß auch, wie machtvoll meine Gedanken sind und ich weiß, wie ich mit dir in Kontakt treten kann.
Jetzt fühle ich mich gleich hoffnungsvoller und weicher.
So mag ich es!