Oookeeyy??!! 24 Stunden Corona-frei.
Na bumm, das überrumpelt mich jetzt. Was mach ich denn da jetzt damit?
In mir kriecht gerade ein ganz seltsames Gefühl hoch. Hand in Hand mit diesem Gefühl erscheint plötzlich in mir ein Bild: Ich sehe vor meinem inneren Auge eine Person, welche sich nun schon exakt 12 Monate, JA – ein komplettes, ganzes Jahr (denn so lange dauern nun schon diese ganzen Maßnahmen rund um Corona. Exakt vor einem Jahr hatten wir in Österreich den ersten Lockdown) unschuldig in Haft befindet. Diese Person weiß ganz genau, dass sie unschuldig hinter Gittern ist. Nur, die Menschen, welche den Urteilsspruch fällten, sind von etwas anderem überzeugt.
Und nun naht ein erneuter Urteilsspruch und diese Person darf probeweise 24Stunden – quasi auf Bewährung – aus dem Gefängnis und bekommt frei.
Puh. Ich spüre eine intensive Überforderung in mir. Die steigt gerade so richtig hoch und legt mich erstmal komplett lahm: 24 Stunden frei. Was mache ich denn jetzt wirklich damit?
Dieses innere Bild von der inhaftierten Person schiebe ich jetzt mal zur Seite und stelle mich meiner eigenen Hilflosigkeit und Überforderung, die gerade Hand in Hand in mir versuchen, das Ruder zu übernehmen.
So – STOPP! So geht das nicht! Überforderung hin oder Hilflosigkeit her:
Ich habe 24 Stunden Corona-frei und die will ich nützen! Und zwar will ich sie so nützen, dass ich all das, was ich in den letzten 12 Monaten über mich gelernt habe, dennoch Platz haben darf.
Ich will meine innere Haltung, die ich mir in den letzten zwölf Monaten angeeignet habe und die zum Teil unter Tränen und heftigen seelischen Schmerzen gewachsen ist, nicht mehr über Bord werfen.
Ich hatte ja plötzlich so viel Zeit, die ich vor Corona nicht hatte. Vor Corona sauste ich von einer Musikprobe zur nächsten. Von einem Auftritt zum anderen. Von meiner Praxis in die Sauna. Von der Sorge um meine über 90jährige Schwiegermutter zu meinen geliebten Kindern und Enkelkindern. Und – nichts davon, was mir so sehr ans Herz gewachsen war, war nun mehr möglich.
Und diese innere Not, die ich so intensiv spürte, war deshalb so groß, weil mir quasi alles, was mir ans Herz gewachsen war und was mein Leben taktete, von meinem Zeitplan gestrichen wurde. Ja, ALLES! Diese Not war groß, sehr groß!
Ich durfte nicht mal mehr meine Praxis aufsperren und meine Klienten und Klientinnen an der Massageliege betreuen. Puh, das war richtig schlimm!
Und DAS soll jetzt auf einmal – einfach so – aufgehoben sein? Jetzt, nach zwölf Monaten? Wo ich mich doch so sehr daran gewöhnt hatte, dass ich ganz, ganz, ganz viel Leerlauf-Zeit hatte?
Ich habe doch gerade erst gelernt, dass ich diese Leerlauf-Zeit nütze!
Für mich nütze, für meine Partnerschaft nütze, für intensive Gespräche mit meinen Kindern nütze – zwar nicht face to face an einem Tisch oder im selben Raum, aber über Medien, die ich mir ohne Corona möglicherweise niemals so zu eigen gemacht hätte. Oder zumindest nicht so schnell. Wir wohnen nämlich über Kontinente verteilt, weit voneinander entfernt in Oberösterreich, in Wien, in Tirol und in Taiwan. Besuche konnten wir da vergessen.
Ich habe die letzten 12 Monate zum Kräuter-sammeln und -verarbeiten genützt. Ich habe sie für ausgiebige Spaziergänge und Touren ins nahe Gebirge des Salzkammerguts genützt. Ich habe sie zum Üben meiner geliebten Tuba genützt – dieses Instrument habe ich fast 50 Jahre, nachdem ich begonnen habe, Geige zu spielen ganz neu in mein Leben eingeladen. Und: ich habe sie zum Spielen genützt – ja, zum Spielen! Mit meinem Mann: Kartenspiele, Brett-Spiele und viele andere Spiele.
Und: wir haben gemeinsam die Zeit genützt zur Besinnung:
Zur Besinnung auf das, was ein lebenswertes Leben eigentlich ausmacht. Auf unsere innersten Werte, die uns ausmachen. Auf unseren Anteil, den wir beitragen können, dass unser so geschundener Planet endlich zur Ruhe kommen kann und sich reparieren kann. Dass nicht mehr so viel CO2 in die Luft gepustet wird durch inflationär betriebenen Flugverkehr oder durch unmäßigen Autoverkehr. Dass endlich die wahnsinnige Abholzung unserer Regenwälder ein Ende hat. Ganz einfach, dass wir unsere innere Weisheit befragen, ehe wir nach Corona wieder so unsinnig weitermachen wie vorher.
Die grüne Lunge Regenwald unserer Erde ist nämlich durch uns Menschen mindestens genauso gefährdet wie unsere menschliche Lunge durch das Corona-Virus. Ich frage mich seit einem Jahr: gibt es da etwa Parallelen?
Ich hatte eine so intensive tiefe Freude in mir, als durch all diese Lockdown-Maßnahmen der Himmel so blau war, wie nie zuvor. Oder die Gewässer vor der Bucht von Venedig sich so erholt hatten, dass plötzlich Delphine darin schwimmen mochten.
Ich genieße meine tiefe innere Ruhe und meinen inneren Frieden durch die auferlegten Einschränkungen inzwischen so sehr, dass ich gar nicht sicher bin, dass ich das für 24 Stunden so ohne weiteres tauschen mag, gegen eine sogenannte „Freiheit“. Und zwar weiß ich das deshalb nicht, weil ich – nicht so sehr für mich, jedoch allgemein gesellschaftspolitisch die Sorge habe, dass diese wiedergewonnene Freiheit ganz, ganz schnell unsere innere Weisheit, die uns einen lebensfreundlichen und gesunden Weg aus der fortschreitenden Zerstörung unseres Planeten weisen könnte, wieder allzu schnell zugeschüttet werden könnte. Zugeschüttet von diesem so unsinnigen „Schneller – höher – weiter – Lebensprinzip“. Dort will ich definitiv NICHT hin.
JA, ich will gerne wieder ein gutes Konzert besuchen oder ein Theater oder eine Oper. Ich will hören, fühlen, riechen, wie sich diese Live-Atmosphäre anfühlt. Ich will aufmerksam zuhören und wertschätzen, was da auf der Bühne und hinter den Kulissen geleistet wird. Und ich will spontan klatschen, wenn mir danach ist.
Ach, ich bin doch selbst Musikerin und Amateur-Schauspielerin, Sängerin, Clown-Frau. Ich will auch selbst endlich wieder einmal befreit und ungezwungen auf einer Bühne stehen. Ich will hören, sehen und spüren, wie meine Liebe zur Musik und Kunst die Herzen meines Publikums öffnet und bewegt.
Ich will wieder in Orchester-Proben gehen und will genießen und fühlen, wie sich die Musik, welche von mehr als einer Person gleichzeitig im selben Raum angestimmt wird, im Zusammenklang anhört und anfühlt. Ich vermisse das so sehr!
Und – JA: ich will meine liebsten Freunde, meine Kinder, meine Enkelkinder, meine fast 95-jährige Schwiegermutter umarmen, herzen und liebkosen. Ich will ihren Herzschlag ganz nah an meinem Herzschlag spüren. Und ich will ihre Stimme wieder ganz nahe an meinem Ohr hören. Und ich will ihren Atem ganz nahe an meiner Haut fühlen.
JA, ich will auch gerne einmal wieder in eine öffentliche Sauna gehen. Und ich will auch weiterhin solange als möglich Zug und öffentliche Verkehrsmittel gegen mein Auto tauschen, um nicht unnötig Abgase in die Luft zu blasen.
Und ich will nur mehr – auch wenn diese 24Stunden, welche mir so unerwartet geschenkt wurden, vorbei sind – ich will nur mehr Dinge tun, die unserer Erde zuträglich sind! Ich will Worte sagen, die den Frieden im Herzen nähren. Ich will gut auf mich und auf mein kostbares Leben aufpassen. Und ich will gut auf unseren Planeten und alles Leben, das er hervorgebracht hat achten.
Und: ich will singen, und spielen, und tanzen, und lachen. JA, ich will lachen, so herzhaft lachen, dass ich zumindest einen Menschen mit meiner Freude und mit meinem ganzen Wesen anstecke. Mehr ist mir natürlich noch lieber.