Es gibt in dieser Zeit nur wenige Begegnungen, in denen ein Austausch stattfindet. Zumeist beschränken sich diese auf flüchtige Zusammentreffen beim Spaziergang. Man geht schnell aneinander vorbei, das Einhalten von Mindestabstand ist nicht möglich.
Mit Maske im Gesicht sind Emotionen nicht so leicht zu erkennen. Es ist auffällig, dass viele Begegnungen ohne Beachten des Gegenübers stattfinden. Man hastet aneinander vorbei. Man schaut sich kaum noch an. Es scheint fast, als ob schon ein bloßer Augenkontakt eine potenzielle Gefahr darstellt.
Kürzlich war ein Arztbesuch nötig. Die Patienten warten diszipliniert mit ausreichendem Abstand. Das Wetter erlaubt es, dies auch im Freien zu tun. Die Sprechstundenhilfe scheint völlig überfordert und verbreitet trotz geringer Patientenzahl eine unglaubliche Hektik und ist erkennbar mürrisch und schlecht gelaunt. Ich verstehe die besondere Anspannung in diesem Beruf, habe ihn lange selbst ausgeübt, aber gerade in dieser Zeit, derart übellaunig mit Menschen umzugehen ist für mein Empfinden völlig inakzeptabel.
Manchmal erledige ich Einkäufe ohne Vorbestellung. Die angespannte Stimmung lässt sich fast mit Händen greifen. Niemand bringt die Geduld auf, den anderen in Ruhe eine Auswahl treffen zu lassen. Da wird schon mal mürrisch gebrummelt und gedrängelt. Ich versuche, regelkonform Abstand zu wahren und bemerke meine eigene Ungeduld. Nicht nur wenn der andere vermeintlich lange braucht, sondern auch, wenn mir jemand zu nahe rückt. Ich rücke ich nochmal zur Seite, um ein mürrisches Aufmerksammachen oder bei freundlichem Hinweis eine mürrische Antwort zu vermeiden.
Je länger die Einschränkungen dauern, desto gestresster fühlen sich viele. Mit Recht! Existenzängste, Vereinsamung, Angst vor Erkrankung und kein Ende absehbar. Es liegt so dicht beieinander, mürrisch und freundlich.
Die Frage, ob ich mürrisch oder freundlich auf andere wirke, hängt auch davon ab, wie es mir körperlich geht. Wenn meine Stimmung am Boden liegt und meine Ungeduld mich mürrisch werden lässt, rufe ich mir ins Gedächtnis, wie gut es mir geht. Jedenfalls im Vergleich mit so vielen anderen.
Ich vermeide Talksendungen mit Corona-Thematik und beschränke mich auf eine einzige Nachrichtensendung täglich. Das reicht, mehr ist ungesund.
Ich freue mich über jedes freundliche Augenpaar, über jeden freundlichen Gruß und versuche selbst, durch einen freundlichen Gruß dieser unerträglichen Zeit Paroli zu bieten. Wenn jemand das Lächeln in meinen Augen wahrnimmt und erwidert habe ich Hoffnung, dass wir emotional nicht völlig beschädigt aus dieser Krise kommen.
Jetzt wird es Frühling und die Sonne lässt aus mürrischen Gesichtern immer öfter freundliche Gesichter werden.