Mara, 68 Jahre, verheiratet, wohnhaft in Süddeutschland, seit kurzem verwaiste Mutter und bloggende Rentnerin

Mehr als Corona

Ich lebe in einer anderen Zeit – es ist Corona-Zeit und nicht nur das.
Ich lebe in einer Trauer-Zeit und diese überdeckt Corona. Darf es das überhaupt?
Ich frage nicht nach, lebe so, wie ich mich gerade fühle. Selbstverständlich halte ich die Corona Vorschriften ein.

Doch eigentlich bin ich eher bei mir, als in der Öffentlichkeit. Gerade hatten wir noch tiefsten Winter. Fast einen Meter Schnee und das Thermometer fiel auf 15 Grad minus.
Doch auch das machte mir nichts aus. Es ist Februar 2021 und wir haben Winter.
Ich hatte vor einigen Tagen Geburtstag. Den ersten nach 35 Jahren ohne meinen Sohn.

Er ist letztes Jahr im Sommer plötzlich und unerwartet an einer Lungenembolie gestorben.
Die Rettungskräfte fanden ihn tot in seiner Wohnung. Er hatte sich auf meine Anrufe nicht gemeldet und mein Mann verständigte daraufhin die Polizei.
Plötzlich, schockartig, veränderte sich mein/unser Leben. Unser einziges Kind war tot.
„Bis denn“, waren seine letzten Worte bei unserem letzten Telefonat. Er war guter Dinge, fröhlich und gut gelaunt. Er hatte seinen Urlaub vor sich, obwohl er lieber gearbeitet hätte, war er doch die vergangenen fast fünf Monate krankheitsbedingt zu Hause und hatte gerade erst vor 3 Wochen wieder zu arbeiten begonnen. Doch es war Corona-Zeit und wenig Arbeit.

Seine OP hatte sich auch deswegen hingezogen und wurde immer wieder verschoben. Allein das Biopsie-Ergebnis dauerte doppelt so lange wie üblich. Corona hatte Vorrang!
Bei allem Verständnis, ich war wütend. Mein Sohn nahm es unmenschlich gelassen.
Ist halt so, seine Worte!

Bis denn………….

Manchmal kann ich besser, manchmal schlechter mit meinem neuen Leben umgehen. Ich bin traurig und gleichzeitig lerne ich mich neu zu orientieren. Corona kommt obendrauf.
Langsam nerven die Maßnahmen, doch ich habe schon als Kind gelernt Gebote zu befolgen, ohne darüber nachzudenken. Das kommt mir jetzt zugute.

Ich muss mich oft sortieren! Was darf ich überhaupt, was nicht! So bleibe ich lieber im Haus. Lese und schreibe. Das Zoomen habe ich auch gelernt und liebe es mittlerweile. Eine wunderbare Möglichkeit gerade jetzt in Corona-Zeiten mit Menschen in Verbindung zu bleiben.
Ich lerne richtig zu bloggen. Auch das bringt mich auf andere Gedanken und ich lerne neue Menschen kennen. Ein Bonus obendrein.

Die Beerdigung fand im kleinen Familien- und Freundeskreis statt. Abstandsregeln mussten eingehalten werden. Kein Händedruck, keine Umarmung, wenig Worte.
Schön war der Leichenschmaus. Gerade ein paar Tage vorher öffneten die Lokale und unsere kleine Gruppe konnte gemeinsam essen. Meine lebenslangen Freunde konnten anreisen. Ihr Dasein stärkte mich.

Nicht so viel nachdenken was war. Warum, schon gleich gar nicht. Mein Kopf hat trotzdem das Kommando übernommen – wieder einmal.

Doch manchmal, ganz heimlich still und leise meldete sich meine Seele. Ich muss ihre Sprache erst noch lernen. Jahrzehntelang habe ich nur funktioniert. Jetzt will und kann ich nicht mehr.
Corona hilft mit dabei sogar ein wenig.

Bis auf die Versorgungsgeschäfte haben alle Läden geschlossen. Friseure auch. Das Leben in der Stadt ist wie eingefroren, nicht nur, weil wir Winter haben. Eine Lähmung macht sich breit und unter dem Mund-Nasen-Schutz bekomme ich schlecht Luft. Also bleibe ich zu Hause.
Mein Mann lernt das Einkaufen, auch nicht schlecht.

Unser Rentnerleben hatten wir uns anders vorgestellt. Jetzt müssen wir einen Grabstein aussuchen und uns Gedanken um die Grabpflege machen. Die Trauer stets im Gepäck.
Ich tröste mich, dass ich damit nicht alleine bin, doch irgendwie bin ich es ja doch.
Ich schreibe einen Artikel über meine Trauer in meinem Blog und bekomme überwältigende Kommentare.
Das tut mir gut und bestärkt ich dran zu bleiben.
Dranzubleiben an meinem neuen Leben, an meiner Trauer, am Schreiben.

Alles im Leben hat seine Zeit und diese will und darf gelebt werden. Das erlaube ich mir gerade jetzt und auch künftig.
Nachts schaue ich zu den Sternen und weiß, auf einem sitzt mein Sohn und es geht ihm gut. Er liebte den „Kleinen Prinzen“.

Oft habe ich das Gefühl er ist mir ganz nah und sagt, wie schon als 4-Jähriger damals: „Mama, in der Ruhe liegt die Kraft!“
Dann schmunzle ich und denke: Wie recht du hast!